11. Feb. – Addis Abeba Shoppingtag
Ausgeschlafen wache ich auf, bereite mich auf den Tag vor und gehe nach unten auf ein „guten Morgen“. Tigist macht Frühstück für mich, Muller ist noch nicht auf, Asmerom ist nicht da. Er war gestern Abend schon nicht im Haus. Auf Nachfrage ob ich draußen essen möchte, bekomme ich den Teller in der wärmenden Morgensonne und darf mein Frühstück bei herrlichem Kaffeearoma zu mir nehmen. Denn heute ist Rösttag. Eine Verwandte ist hier, um den ganzen Kaffee zu rösten, den Muller in Yirgacheffe gekauft hat. Sidamo-Kaffee, handgeröstet. Inzwischen weiß ich, Kaffee brauche ich heute keinen zu kaufen.
Die Pancakes, liebevoll dekoriert mit Papaya und Avocado, sind wieder mal lecker und ich darf den ersten frisch gerösteten Kaffee kosten. Während des Essens kann ich der Frau beim Rösten zusehen. Kaffeeduft erfüllt den Hof.
Muller kommt heraus. Wir begrüßen uns. Er frühstückt jetzt auch und muss dann los, er hat irgendetwas zu erledigen. Der Vormittag vergeht, die Röstarbeiten sind getan und Muller kommt zurück. Er bringt einen Karton mit einer Elektromühle mit. Die vielen Kilogramm Röstbohnen wollen noch gemahlen werden. Es ist Zeit für das Mittagessen. Später fahren wir in die Stadt zum Einkaufen. Ich möchte in eine Buchhandlung und für die Kinder möchte ich ein paar Videos kaufen (Shrek oder Ice Age). Die Movies werden hier in entsprechenden Geschäften als Videofile auf USB-Stick verkauft.
Zuerst versuchen wir es in einer Buchhandlung. Erfolglos. Der Verkäufer verweist auf ein anderes Geschäft in der Nähe. Wir gehen zu Fuß dorthin und kommen dabei am Hotel Eliana vorbei, meinem Hotel bei den ersten beiden Ethiopiatrips. Die zweite Buchhandlung hat auch nicht, was ich suche. Also lassen wir das mit den Büchern und fahren zurück nach Bole-Bulbula, um dort eines der Videogeschäfte aufzusuchen. Aber auch hier habe ich kein Glück. Die gesuchten Filme haben sie nicht in ihrem Bestand. Schade, das war eigentlich alles als Abschiedsgeschenk für die Kinder und für Muller gedacht.
Ich bekomme über den aktivierten Hotspot einen Benachrichtigungston. Nanu, eine Mail. Post vom Auswärtigen Amt! Ein Sicherheitshinweis.
Gestern erst sind wir auf so einer Straße zurückgekommen. Muss aber nicht heißen, dass es heute genau diese Ausfallstraße betrifft.
Nach zwei Stunden sind wir wieder am Haus. Ich gehe nach oben, Packen. Bald darauf gibt es ein zeitiges Abendessen. Dann wartet eine Überraschung auf mich. Sie haben mir zum Abschied eine Torte besorgt. Ich bin gerührt, schneide die Torte an und dann essen wir alle Kuchen. Bevor ich meine Taschen schließe, bekomme ich mehrere in Plastikfolie abgepackte Kaffeepacks. Für mich und zum Weiterverschicken in Deutschland.
Der Kaffee ist verpackt, die Taschen sind zu und stehen unten. Es ist so weit, ein schwerer Abschied steht bevor. Ich umarme und drücke die Kinder. Jonathan laufen die Tränen. Redit hält sich tapfer. Inzwischen bin ich ebenfalls in Tränen ausgebrochen. Ich verabschiede mich von Tigist, bedanke mich für die Zeit bei ihnen. Tigist schenkt mir Segenswünsche mit Tränen in den Augen und sagt, wenn es mir irgendwann einmal wieder besser gehen sollte, solle ich auf jeden Fall wiederkommen. Ich sage zu. Falls das in Zukunft der Fall sein sollte, wird mein erster Gedanke sein, zu meiner zweiten Familie in meinem geliebten Äthiopien zurückzukehren. Von Asmerom kann ich mich nicht verabschieden. Er ist noch nicht wieder da.
Muller bringt meine Taschen in den Toyota. Ich umarme noch einmal Tigist und die Kinder, dann steige ich ein. Wortlos fahre ich mit Muller zum Flughafen. Wir wissen beide, was da kommt. Am Flughafen wartet auf uns, nach vorheriger Absprache, bereits der Herr, dem ich vor sechs Wochen die „und anderen Dingen, die ich noch mit runternehmen sollte“ übergeben habe. Von ihm bekomme ich zu Mitnehmen für die Verwandtschaft in Frankfurt (Oder) eine Tüte mit zwei Büchern und zwei weiteren Packungen a 1 kg Kaffee. Die Dinge werden in meinen Trekkingrucksack gestopft, in der Reisetasche ist kein Platz mehr.
Mein Freund Muller besorgt mir einen Gepäckwagen, wir beladen ihn, dann sehen wir uns in die Augen. Und dann kommt ein weiterer schwerer Abschied. Wir umarmen uns lange, ich kämpfe mit den Tränen, Muller sagt mit gequältem Gesichtsausdruck: „Ich kann das nicht“. Eine letzte Umarmung, ein letzter Händedruck. Er sagt: „Hier halt das“ und gibt mir eine Kette mit Holzperlen in Nationalfarben mit einem Jesuskreuz. Dann steigt er ein, ein letzter Blick und er fährt los. Ich drehe mich um und rolle deprimiert den Gepäckwagen vor mir her.
Selbst als ich nun diese Zeilen schreibe, habe ich Mühe nicht loszuheulen. Meine äthiopische Musik läuft im Wohnzimmer seit Stunden in Dauerschleife.
Wie müssen sich die Menschen fühlen, die in Afrika ihre Familien verlassen und in eine ungewisse Zukunft nach Europa als Flüchtlinge aufbrechen. Nicht wissend, ob sie jemals wieder jemanden ihrer Verwandten wiedersehen werden. Ich weiß es nicht, ich kann es nur erahnen. Ein klein wenig, ein ganz klein wenig habe ich jetzt eine Vorstellung davon.
Seltsamerweise konnte ich bei den nun folgenden Sicherheitskontrollen eine außen am Handgepäckrucksack gut sichtbar eingeschobene gefüllte Wasserflasche ohne Beanstandung durchbringen.
Im Duty-Free Bereich setze ich meine letzten Birr um. Weil ich beim Shoppen erfolglos war, habe ich noch 1400 Birr in der Tasche. In den meisten Shops werden nur Devisen akzeptiert. So lande ich in einem Souvenirshop, der auch Birr annimmt und kaufe mir zwei Ledergürtel davon, da ich keinen unnützen Tand brauche. Die nette Verkäuferin erlässt mir 115 Birr, weil mein Restgeld nicht ganz reicht und wollte den fehlenden Betrag von etwas über zwei Euro nicht haben. Wir hatten uns bereits eine Weile im Shop unterhalten. Ich hatte Zeit und im Shop war nur gelegentlich Kundschaft. Sie bekam von mir die Winterbilder zu sehen, die meine Verwandten und Freunde mir netterweise via WhatsApp geschickt hatten. Ich zeigte ihr das verschneite Bielefeld, das winterliche Frankfurt (Oder), ein traumhaft weißes Erfurt sowie Beelitz im Schnee. Dankend verließ ich schließlich den Shop in Richtung Gate.
Schließlich war es soweit. Boarding, Platz einrichten. Die große Maschine ist wieder nur zu einem Drittel gefüllt. Die Sitzreihe gehört mir allein. Der Flieger startet kurz vor Mitternacht (intern. Zeit), ich sehe die Lichter von Addis Abeba. Der Pilot fliegt eine Kurve, die Stadt liegt voll ausgebreitet unter uns. Wehmütig schaue ich auf die sich langsam entfernenden Lichter. Leb wohl Afrika. Lebe wohl mein Ethiopia. Finde deinen Frieden wieder und behalte deine Einheit.
º¤ø,¸¸,ø¤º°`°º¤ø,¸¸,ø¤º° ኢትዮጵያ ለዘላለም ትኑር። º¤ø,¸¸,ø¤º°`°º¤ø,¸¸,ø¤º
***** Ende des Berichts