Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”

  • Ich finde deinen Bericht und die lebendigen Fotos auch sehr interessant.
    Ganz fremd ist mir nicht alles, weil meine Freundin dort war und viele Fotos und Erzählungen mitgebracht hat. Allerdings schon vor einigen Jahren, deines ist Auffrischung. :)
    Auch war erst letzte Woche ein Reisebericht in unsere Tageszeitung und die berühmte Kirche, die bei dir noch kommt, war in Großaufnahme drin.
    Freu mich auch schon auf mehr und bin gespannt was du noch alles erlebst und entdeckst.
    LG Maxi

  • 21.5. Tana Lake und Blue Nile Falls


    Yihenew, der Guide, hat gestern angekündigt, es müsse früh losgehen, denn es gebe viel zu sehen. Und so klingelt der Wecker um 6 Uhr, sodass es um 8 Uhr losgehen kann.


    Wir treffen uns in der Lobby, und ich werde mit einem big Smile empfangen.


    Mullers Geheimrezept ist offensichtlich, dass er sich mit Menschen umgibt, die ihm ähnlich sind: Klug, gebildet, hoch anständig, zuverlässig und engagiert. Und so verbringe ich auch hier den Tag mit einem eigentlich Journalisten und Kommunikationswissenschaftler, der wie alle, die ich über Muller kennengelernt habe, so mit mir umgeht, dass ich in kürzester Zeit den Eindruck habe zu Gast bei Freunden zu sein. Habe ich schon erwähnt, dass auch er passabel Deutsch spricht?



    Ich trabe etwa 10 Minuten mit ihm durch die Stadt bis zum See, wo wir ein Boot besteigen, das uns etwa eine Stunde über den Tana Lake schippert bis in die Nähe des Klosters Ura Kidana Meheret.


    Wir finden uns in einem Dorf wieder, in dem zwar Souvenirstände den Weg pflastern, alles jedoch immer noch ursprünglich ist. Und so gehen wir etwa eine Viertelstunde zum Kloster über braune Erde, vorbei an Häusern aus Lehm und Stroh und unter anderem an einem Maler vorbei, der einen einzigen Satz auf Deutsch beherrscht: 'Alle Malereien sind aus Naturfarben hergestellt’.


    Yihenew ist hier aufgewachsen und kennt daher offenbar jeden hier, und so grüßt er immer wieder und hält hier und da einen Schwatz.





    Wir halten uns lange in dem ruhigen Kloster auf und sprechen über die Malereien und die dazu gehörenden Legenden und Bibelstellen. Wir witzeln herum, schweigen auch gemeinsam, betrachten die Malereien, und ich genieße die Stille des ansonsten leeren Klosters.





    Wir besuchen noch das kleine angrenzende Museum und auf geht es zu einem sehr schönen Programmpunkt. Wir gehen nämlich durch den Wald zurück.


    Yihenew findet für mich Affen und ein Wildschwein. Wir pirschen durch das Unterholz, und er muss dennoch einen Stein in Richtung eines schlafenden Schweins werfen um es aufzuscheuchen, weil meine zivilisationsverkrüppelten Augen es sonst nicht erkennen. Wildschweine können aber auch gefährlich sein. Yihenew hängt sich an einen Ast: Er könne da auch auf den Baum klettern, wenn es nötig sei, ob ich das auch könne? Siehst du, deshalb ist es besser nicht näher heranzugehen.


    Wir kommen wieder an der Stelle an, an der unser Boot liegt und trinken noch einen Kaffee. Der am Morgen leere Platz ist nun gut besetzt von Einheimischen, die quatschen, Kaffee trinken oder Injera mit Soße essen. Yihenew und ich werden neugierig befragt, wer ich bin, woher ich komme, und es wird ganz gut herumgewitzelt.



    Yihenew fragt nett, ob es okay wäre in 'meinem’ Boot jemanden mitzunehmen. Na klar, warum denn nicht, und der Hitchhiker steigt zu. Wie fahren noch zu der Stelle, an der der blaue Nil den Tanasee verlässt und sehen auf einem Haufen sicher 8 Nilpferde. Offenbar gibt es das wirklich nicht so oft, denn auch die beiden Jungs fangen an ihre Handys zum Fotografieren zu zücken.


    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Wir legen an einem Restaurant an und die Tour über den See ist beendet. Ich esse auf Empfehlung Yihenews Fischfilet mit Reis und Gemüse in Folie. Das Filet ist wunderbar!


    Wie durch Zauberhand taucht vor dem Restaurant ein Auto auf. Das ist das Auto mit Fahrer, welches mich die nächsten 10 Tage begleiten wird. Eshetu, der Fahrer, Typ braver Junge vom Land, wirkt ein wenig schüchtern, aber wahrscheinlich sind es eher seine nicht ganz so guten Englischkenntnisse, die ihn vom Reden abhalten, denn mit Landsleuten spricht er gern und viel.


    Wir fahren zu den Fällen des blauen Nil. Dazu fährt man ein paar Kilometer auf guter Straße und dann sicher eine halbe Stunde eine Piste. Hier beginnt die Landschaft schon sehr archaisch zu werden.


    Und so landen wir an einer Stelle, an der wir noch einen lokalen Guide mitnehmen müssen - das sei Pflicht - und fahren weiter zum Ausgangspunkt der kurzen Wanderung. Der lokale Guide stört eher und verfügt über die Gabe immer irgendwie im Bild herumzuspringen.


    Aber was wir sehen, ist interessant. Es macht Spaß über den Pfad zu gehen über die rotbraune Erde, über Stock und Stein.


    Wir überqueren erst die uralte Brücke der Portugiesen und dann eine neue Hängebrücke. Yihenew ist intelligent und sensibel und versteht es immer mal mit einem Hinweis auf eine Pflanze oder einen Ausblick stehen zu bleiben bis meine Gesichtsfarbe wieder normal ist, während der lokale Führer etwas ungeduldig wirkend vorneweg springt.


    Den Blick auf den Wasserfall genießen wir ausgiebig.









    Wir gehen weiter durch dörfliches Leben über Felder, vorbei an Menschen, vor allem Frauen und Mädchen, die etwas auf dem Kopf tragen oder Wasserkanister mit sicher 20 Litern Inhalt auf dem Rücken haben und vorbei an spielenden Kindern.


    Ich denke bei dieser ersten hautnahen Berührung mit dem Landleben daran, dass hier vieles mit Sicherheit nicht so idyllisch ist, wie es scheint auf den ersten Blick: Das Trinkwasserproblem, die Armut, fehlende Bildung...


    Wir setzen mit einem Boot über zur anderen Seite des Nils, wo auch schon unser Auto auf uns wartet.





    Der Tag ist beendet, Yihenew wird nach Kontaktdatenaustausch herzlich verabschiedet und ich wasche mir jede Menge rote Erde von den Füßen und ruhe mich ein bisschen aus.


    Ich beschließe zu testen, wie es abends so allein unterwegs ist und mache mich im Dunklen auf in die Stadt. Mich verfolgen gewispertes 'money, money’, 'ferenji’ und wahllose andere englische Worte von 'yes’ und ‘you’ bis ‘beautiful’. Und wieder kann ich beobachten, wie Erwachsene darauf achten, dass ich nicht von Kindern belästigt und verfolgt werde.


    Dennoch passiert es. Ich sitze in einem Café. Ungefragt setzt sich jemand zu mir und drängt mir ein Gespräch auf. Ich will nicht unhöflich sein und lasse mir die Infos abringen, dass ich das erste Mal hier bin und kein Amharisch kann, das war falsch. Und damit bin ich Opfer. Mit einer Mischung aus Schmeichelei, Drohung und Verunsicherung wird mir Whisky angeboten. Nee, danke, lass mal! Ich will die Situation schnell und schmerzlos beenden, stehe auf, zahle drin und gehe. Jedoch stellt sich der Typ mir ungefragt in den Weg. Er will mich nicht vorbeilassen und fasst mich am Arm. Ich sage, ich rufe die Polizei, er geht nicht und versperrt mir den Weg. Ich spreche wildfremde Menschen an und bitte sie mir zu helfen. Daraufhin ist er blitzschnell verschwunden.


    Auf den Schreck erstmal 2 Gin Tonic im Hotel und ein insgesamt super gelungener Tag ist trotz eher unangenehmer 5 Minuten in den Abendstunden beendet.

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Echt klasse, dass du Bilder jetzt in groß einstellst :thumbsup: macht so mehr Spaß beim lesen und angucken. Freue mich auf mehr!!!


    Ich hätte vermutlich 3 Gin Tonic gebraucht ;( , obwohl ich auch kein ängstlicher Typ bin, aber so eine Begegnung braucht Frau nicht.

  • Echt klasse, dass du Bilder jetzt in groß einstellst :thumbsup: macht so mehr Spaß beim lesen und angucken. Freue mich auf mehr!!!


    Ich hätte vermutlich 3 Gin Tonic gebraucht ;( , obwohl ich auch kein ängstlicher Typ bin, aber so eine Begegnung braucht Frau nicht.

    Das ist für mich auch häufig ein Problem: Will niemanden brüskieren, kein unhöflicher Touri sein, aber es ist inzwischen 50:50.
    Ein wissbegieriger Student möchte sein Englisch verbessern oder etwas über mein Land wissen, der nächste ist auf Geld aus. Schwierig...

  • Hallo Inspired!
    Wirklich schöne Bilder, die Du uns da zeigst, ich freu mich auch schon auf die Fortsetzung.


    Ich kann Dir das gut nachfühlen, es ist schwierig fremde Menschen einzuschätzen. Wir haben in Gambia leider mehrmals unangenehme Erfahrungen gemacht. In Kenia wird man zwar oft angebettelt, aber es war bisher nie bedrohlich. Und wie Du schon geschrieben hast: manche möchten nur ihr Sprachkenntnisse verbessern oder wissen welche Geschichte da in dem Buch drin steckt, dass man gerade liest.


    LG Quaxi

  • Hallo ihr Lieben,


    ich habe euch und meinen Reisebericht nicht vergessen und gelobe eine höhere "Schlagzahl". In den letzten Tagen war ich viel unterwegs und hatte keine Ruhe um mal ein bisschen hier alles weiter zusammenzufummeln.


    Ja, die Szene in Bahir Dar war unangenehm, aber ich glaube, es liest sich für den einen oder die andere auch schlimmer als es letztlich war. Ich fand, es war eher eine interessante Challenge...


    Und stimmt, man ist immer ein wenig hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken, doch bitte offen zu sein und andererseits der durchaus berechtigten Befürchtung in irgendwelchen Situationen zu landen, in denen man beispielsweise unwissend einen Guide "angeheuert" hat.


    Ich für mich halte es auf Reisen so, dass ich vom Kopf her nichts mache, was ich mir auch in Deutschland unangenehm wäre, auf mein Bauchgefühl höre. Ich meine, auch hier würde ich es ja ablehnen, wenn sich mir jemand aufdrängt und der Meinung ist, ich müsste mit ihm mal eben mitkommen um mich zu betrinken...


    Und wenn mir eine Situation unangenehm ist, verlasse ich sie möglichst unaufgeregt und sofern das nicht geht, energisch. Das hat ja hier funktioniert...


    Liebe Leute, wie auch immer, heute Abend folgt der nächste Reisetag!

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • 22.5. Unterwegs nach Gondar


    Eshetu und ich müssen uns auf der ersten Fahrt allein miteinander erstmal aufeinander einschwingen. Etwa alle halbe Stunde dreht er sich zu mir und fragt “Are you OK?”, was ich stets bejahen kann.


    Und ich muss mich auf Äthiopien immer noch einschwingen… Es warten bizarre und fremdartige Eindrücke auf mich. Afrika ist hart, und das merkt man so schon schnell. Bilder flitzen an mir vorbei, im Grunde zu schnell um sie zu erfassen.


    Ein bis auf ein T-Shirt völlig nackter Mann läuft auf der Straße umher, niemanden kümmert es. Eine prunkvolle Beerdigung mit einem endlos scheinenden Zug weiß gekleideter Leute. Kurz darauf eine ärmliche Beerdigung, bei der zerlumpt Gekleidete eine Trage mit Lumpen zu tragen scheinen. Ein Hund gerät zwischen uns und den Gegenverkehr und kommt zwischen die Räder. Bei einem kurzen Blick zurück sehe ich, wie er zuckend verendet. Menschen kacken direkt neben der Straße auf das Feld. Und überall immer wieder Menschen mit Knarren, nicht nur Militär, sondern auch Bauern, von denen ich nicht weiß, ob sie ihr Hab und Gut gegen wilde Tiere oder gegen böse Menschen verteidigen wollen und wen oder was sie im Ernstfall erschießen würden. Kleine Kinder im Kindergartenalter gehen zu zweit Hand in Hand oder ganz allein am Straßenrand entlang, ohne dass ein Erwachsener in der Nähe ist. Die müssen gute Schutzengel haben!


    Aber es gibt auch viele schöne Bilder, malerisch, archaisch, exotisch: Ortschaften am Rande, ursprünglich gekleidete Menschen, Tierherden, Eselgespanne, Brunnen. Es gibt weite Blicke über tiefbraune Erde auf Menschen, Tiere und Pflanzen, untermalt von der äthiopischen Musik, die Eshetu in so ziemlich jeder Minute Fahrt unablässig dudelt.


    Gegen Mittag erreichen wir Gondar, eine der früheren äthiopischen Hauptstädte. Das Hotel ist etwas außerhalb, und so sehe ich von der Stadt nicht mehr als das für Touristen vorgesehene Programm.


    In der etwas längeren Mittagspause bestelle ich Spaghetti Carbonara und erhalte höllisch scharfe Spaghetti Bolognese. Man besteht darauf, dass das Carbonara sei. Nun gut, andere Länder, andere Sitten. Sie schmecken gut. Als Ausgleich gibt es Kaffee aufs Haus, einen besonders liebevoll gestalteten Macchiato.


    Eshetu stellt mir seinen Bruder vor, der hier lebt. Er scheint Zeit zu haben und begleitet uns über den Tag. Ein netter Junge, etwas lebhafter als Eshetu. Am Nachmittag startet das Sightseeing, es stehen hier immer die Burganlage mit den 6 Schlössern, das Kloster Debre Berhan Selassi und das Bad des Fasilides an.


    Die Palastanlage besteht aus 6 Schlössern und zahlreichen Nebengebäuden, die im Laufe der Jahrhunderte von der Herrscherdynastie erbaut wurden.


    Und überhaupt ist Gondar kulturell bedeutsam, denn Gondar war einst Hauptstadt Äthiopiens, bevor die “Neue Blume” Addis Abeba es wurde.








    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Es geht weiter zum Kloster Debre Berhan Selassi mit beeindruckenden Deckenmalereien. Wir halten uns eine ganze Weile hier auf. Der Guide erklärt, dass der Staat wenig für die Artenvielfalt in Flora und Fauna tut, dass in solchen Klostergärten allerdings Pflanzen und Tiere beheimatet sind, die anderswo keinen Platz haben und nicht geschützt sind. Und so betrachten wir, wer alles zur Vogeltränke kommt und sich einen kleinen Drink genehmigt.







    Letzter Halt des Sightseeing ist das Bad des Fasilides. Im Januar ist dieses das Zentrum des Timkat-Festes, das der Guide allerdings so zungenbrecherisch ausspricht, dass ich das Wort kaum wiedererkenne, also doch lieber einfach “Timkat”. Dieses ist das Fest der Taufe Jesu, und so wird Jahr für Jahr die Taufe im Jordan nachgestellt.


    Das große Becken um dieses Wasserschloss wird mit Wasser gefüllt, es gibt eine Prozession, und die Menschen baden im Wasser. Ich habe BIlder gesehen und bedaure ein wenig, dass ich nicht dabei bin und einfach nur ein trockenes Becken erlebe…


    Dafür kann ich die Banyan-Trees und Feigenbäume bewundern und die malerisch anmutenden äthiopischen Frauen, die hier Pflasterarbeiten machen. Malerisch ja, aber knochenhart, der Job.





    Der Guide macht seinen Job ordentlich. Ich bedaure dennoch, dass hier offenbar nicht vorgesehen ist, dass ich alleine in die Stadt gehe, aber andererseits sieht die Innenstadt auf den ersten Blick zumindest nicht sehr einladend aus, auch wenn sie als “lebendige Universitätsstadt” so mancherorts gepriesen wird. Nun gut, ist OK…


    Und so hänge ich noch ein wenig am Pool ab. Hineinzugehen habe ich keine Lust, denn heute hängen dunkle Wolken am Himmel, Wind weht, und insgesamt ist es recht frisch.


    Abends werde ich von Eshetu abgeholt. Hier geht man im “Four Sisters” essen, ein Lokal, das ein bisschen außerhalb und etwas höher liegt, sodass Laufen auch hier nicht angesagt wäre. Das Essen ist wieder mal spottbillig, der Tej (äthiopischer Honigwein) schmeckt besser als in Addis. Meine Speisenauswahl auf Injera ist so reichhaltig, dass ich gar nicht alles aufessen kann.


    Injera kann man in Äthiopien nicht entgehen. Das ist ein oft etwas säuerliches pfannkuchenartiges Brot, das es hier zu so ziemlich jeder Mahlzeit gibt und mit dem man die Speisen aufnimmt. Wer kein Injera mag, findet aber in Restaurants auch anderes Essen: Die Italiener haben in den 30er Jahren das Land für 5 Jahre besetzt und Spaghetti und Pizza hinterlassen, auch "normale" Gerichte wie Fleisch, Geflügel oder Fisch mit Reis oder Pommes und Gemüse gibt es.


    Eshetu hingegen vertreibt sich die Zeit damit, dass er telefoniert und auf seinem Handy tippt. Aber er passt gut auf mich auf, so liegen in Sekundenschnelle Servietten da, als ich ungeschickt beim Essen mit den Händen die Soße über den Tisch verteile, und auch mein Kaffee nach dem Essen steht dank seiner Aufmerksamkeit und Sprachkenntnisse sehr schnell vor mir.


    Beim Verlassen des Lokals gibt es Gegenverkehr. Zwei Männer in so etwas wie Regenmänteln tragen jeweils ein halbes enthäutetes Schaf über der Schulter ins Lokal. Oh, das wird für morgen sicher reichen!


    Wir sind wieder am Hotel. Ich sitze noch eine Weile in der Lobby und schicke Nachrichten in die Heimat. Zu voll ist mir das Herz von den Eindrücken der heutigen ersten Fahrt über mehrere Stunden über Land. Eigentlich gar nicht so schlecht, dass ich recht viel Pause im Hotel hatte, zu viel Information wäre vielleicht auch überfordernd gewesen.


    Ich surfe bis der Strom und somit auch das Internet ausfällt. Bei dem düsteren Himmel heute ist sicher irgendwo ein Unwetter. Und so suche ich im Schein der Taschenlampe die Stirnlampe, die mir hilft mich beim Zähneputzen zurechtzufinden.

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Hallo Inspired!
    Ich kann Dir das sooo nachfühlen, diese Fahrt übers Land mit den vielen Bildern die an einem vorbeiflitzen. Ich kann mich in Kenia auch an so diverse Szenen erinnern:

    • Menschen die nach einem LKW-Unfall die zermatschten Tomaten aufheben und in langen Schlangen Eimerweise auf dem Kopf wegtragen.
    • eine Frau die in einem Sammeltaxi sitzt und sich in einen Spiegel schaut, der Spiegel ist aber nur eine Scherbe.
    • Kinder die Klebstoff schnüffeln
    • Kinder die sich in frischen Kuhfladen morgens die nackten Füße wärmen
    • ein Schneider der mit seiner alten Singernähmaschine am Straßenrand sitzt
    • große Karren die von Männern gezogen werden anstatt von - zumindest Eseln
    • eine Frau die auf Krücken geht, weil der eine Fuß nach innen abgeknickt ist, sieht aus als wäre mal der Knöchel gebrochen und nie versorgt worden.


    Dein Reisebericht ist wirklich sehr schön geschrieben und die Bilder sind was Besonderes! Am besten gefällt mir das wo die Frauen Pflastersteine legen - diese Bäume und die blauen Farbtupfer!


    LG Quaxi

  • Injera kann man in Äthiopien nicht entgehen. Das ist ein oft etwas säuerliches pfannkuchenartiges Brot, das es hier zu so ziemlich jeder Mahlzeit gibt und mit dem man die Speisen aufnimmt.

    Mmhh - ich liebe Injera, köstlich!
    Esse es immer wieder ausgesprochen gerne bei sich bietender Gelegenheit - vielleicht ja auch eines Tages mal in seinem Herkunftsland, wer weiss, deine Bilder machen jedenfalls Lust darauf!

  • Quaxi, ja, diese Szenen sind wie im Film. Ich habe es ähnlich wie in Indien empfunden, ähnlich beeindruckend und in der Wirkung verstärkt, egal ob lustig, traurig, grausam, entspannt...


    Silke, dann nix wie ab nach Äthiopien: Das Essen ist hervorragend und zudem natürlich supergünstig. Allerdings mag ich nicht jeden Tag Injera. Ich hatte vor der Reise dreimal "geübt" und war anschließend auch noch einige Male äthiopisch essen. Hier in Erfurt gibt es das nicht, aber in Jena, wo ich immer mal zum Arbeiten bin, hat passend zu meinen Bedürfnissen im Frühjahr ein äthiopisches Lokal eröffnet, lecker!

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • 23.5. Simien Mountains


    Um 9 Uhr soll es losgehen. Eshetu muss noch zahlen für mich, zum ATM und tanken, dann geht es auf zur recht kurzen Fahrt in die Simien Mountains.


    Habe ich schon erwähnt, dass das Auto einer Gemeinschaft in den Simien Mountains gehört und Muller es von dort gemietet hat für mich?


    Herrliches Wetter. Es geht wieder durch Dörfer, und ohne dass ich es bemerke, winden wir uns höher und höher in die Bergwelt hinauf. Eshetu hat in Debark ein Heimspiel, er stammt von dort. Und offenbar müssen außer mir noch einige andere Dinge dorthin transportiert werden, zumindest kullern einige Zwiebeln durch das Auto, als Eshetu bremsen muss.


    Wir genießen den ersten atemberaubenden Ausblick. Der Blick ist weit, bis er sich im Spiel von Sonne und Wolken im Dunst verliert.




    In Debark ist es deutlich frischer, sodass selbst ich lieber meine Strickjacke anlasse. Wir halten an den Park Headquarters, wo eine Gebühr zu zahlen ist und wir den Guide für den Rest des Tages treffen, Mulat heißt er. Er ist freundlich und weiß viel. Aber das erwarte ich schon gar nicht mehr anders.


    Ein weiterer Hiesiger steigt zu. Es ist der Scout, der uns begleiten wird. Ganz selbstverständlich steigt er nochmals an anderer Stelle aus. Und ganz selbstverständlich erklärt Mulat, er hole jetzt das Gewehr. Ein Gewehr? Wozu? Nun, zum einen gibt es Raubtiere wie Leoparden und Wölfe, zum anderen wisse man nie, ob nicht böse Menschen und Unruhestifter unterwegs seien. Die Regierung wolle eben, dass die Gäste sicher seien, daher wird jedem ein Bewaffneter mitgegeben. Und so fahre ich gut beschützt durch mittlerweile 3 schicke Männer weiter.


    In Debark bekomme ich erklärt, dass grüne Plastikschüsseln vor der Tür eines Hauses bedeuten, dass man hier etwas zu essen bekommt. Wenn das Essen verkauft ist, werden die Schüsseln einfach entfernt. Aha, interessant! Dennoch möchte ich es nicht unbedingt probieren.


    Wir halten an einem Hotel, dort soll ich Kaffee trinken. Hä? Ich will jetzt nicht Kaffee trinken! Aber Eshetu habe noch nichts gegessen heute. Ach so, dann natürlich, der Junge muss was in den Bauch bekommen. Aber Eshetu lässt sich nicht mehr zu seiner wohlverdienten Pause überreden und fährt uns die verbleibende Strecke zur Lodge.


    Am Eingang zum Nationalpark werden Papiere kontrolliert von einem Mann, dem Güte und Sanftheit und ein feiner Humor ins Gesicht geschrieben sind. Der rührt ganz viel an, wenn man ihn ansieht. Es ist Mullers Vater, wie mir Mulat erklärt. Und spätestens diese Momentaufnahme, die mir Einblick in Mullers Herkunft gibt, sagt mir, dass ich es mit Muller besser nicht hätte treffen können.


    Inzwischen habe auch ich Hunger, setze mich in das menschenleere Restaurant und genieße mein Lunch. Wie ich mitbekomme, werden auch die Jungs versorgt. Anschließend rennt eine junge Frau mit meiner Tasche auf der Schulter im Laufschritt zu meinem Häuschen. Ich kann ihr kaum folgen. Na gut, sie wiegt nur halb so viel wie ich und ist die Höhe von mehr als 3200 Metern gewohnt.




    Leider passiert, was wohl passieren musste. Unbemerkt schleichen sich Wolken vor die Sonne. Und als ich nach dem Umpacken meiner Habseligkeiten für die nun zu erwartende Expedition in meinen guten neuen Wanderschuhen vor die Tür trete, treffen mich erste Regentropfen. Na gut, nochmals kehrt gemacht, die Regenjacke geholt und los geht es.


    Der bewaffnete Begleiter in einem traditionellen Umhang gegen die Kälte und der unbewaffnete Begleiter in modernem Outfit mit Wanderrucksack nehmen mich in die Mitte, der Guide vorneweg, der Mann mit der Knarre hinterher. Wir bleiben an der Abbruchkante stehen, wo der Blick in die Weite sensationell wäre, wenn es nicht so diesig und grau geworden wäre inzwischen. Aber ich habe ja genug Phantasie.




    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Und hier tauchen die ersten Affen auf, “grass feeding Baboons” oder auch Gelada Paviane. Kurz nach der ersten umherziehenden Familie von vielleicht 10 Tieren stoßen wir auf die erste Herde mit sicher mehr als hundert Tieren. Und es beginnt die schönste und stressfreieste halbe Stunde des Tages. Die Tiere haben nichts gegen Menschen, sie sind nur am Essen interessiert und nicht am Kampf mit dem Menschen. Und sofern man sich ihnen nicht auf mehr als 2 Meter nähert, ist man Luft für sie. Guide und Scout lassen mich genießen, ich setze mich mitten zwischen die Tiere, darf das dumpfe Rupfen anhören, mit dem sie mit beiden Vorderpfoten das Gras ernten und die “Unterhaltungen”, meistens eher liebevolle zarte Bemerkungen, ab und zu aber wird auch ein Kind zurechtgewiesen oder zwei Sturköpfe geraten aneinander. Ich könnte ewig hier sitzenbleiben.







    Aber Mulat ruft irgendwann zum Aufbruch, es gebe noch viel zu sehen.


    Wir marschieren los, immer bergab. Meine Sorge, ob ich das alles auch wieder hochlaufen muss, bestätigt sich nicht. Mit Eshetu ist besprochen, wo er auf uns warten soll. Also noch ein Argument dafür sich die Tour organisieren zu lassen und sich fahren zu lassen, ganz abgesehen davon, dass hier wirklich Ortskenntnis gefragt ist, denn es ist nichts ausgeschildert.


    Es beginnt in Strömen zu gießen, der Untergrund ist oft rutschig. Ich bin froh über meine Wanderschuhe, die auch schön wasserdicht und rutschfest sind. Meine Laune sinkt im selben Maß, wie der Wasserpegel in den Pfützen steigt. Und ja, ich weiß, niemand kann das Wetter beeinflussen, aber ich sehe gar nichts mehr wirklich, hechele mit hängender Zunge hinter meinen beiden Bewachern her, wobei mein Scout mir öfter hilfreich die Hand reicht, während mein Guide den Blick unbeirrt nach vorne gerichtet hat.






    Nachdem ich nun das eine oder andere Mal eine hilfreiche Hand gereicht bekommen habe und eine wieder mal sehr sanfte Stimme mich mit “it’s OK” und “slowly” bedacht hat, wird mir nun ein Auge zugekniffen mit der Bemerkung: “Have money?” Nun, okay, der Scout muss die Gelegenheit nutzen sein Einkommen aufzubessern, und natürlich wird auch er am Ende des Tages sein Trinkgeld erhalten.

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Endlich erreichen wir das Auto. Da ich in einer Regenpause zugestimmt habe noch ein bisschen weiter zu laufen, es dann aber sofort wieder zu gießen begann, ist meine Laune auf dem Tiefpunkt. Selbst Schuld. Ich sage mir einfach, es ist das Trainingslager und der letzte Fitnesstest für den Vulkan, aber leider merken alle, dass ich nicht gerade gut drauf bin. Eshetu versucht mich mit Verweis auf die nächsten Affen aufzulockern und aufzumuntern, was auch gelingt, aber Mulat sagt, wir müssen weiter, wir müssen noch zum Wasserfall.



    Also gut, es geht über eine Piste, mit den wieder hervorkommenden Sonnenstrahlen erobern auch Strahlen besserer Laune mein Gemüt, und als wir am Startpunkt des kurzen Weges zum Wasserfall ankommen, herrschen gerade bizarre Lichtverhältnisse. Irgendwo ist es bedrohlich schwarz am Himmel, vor mir eine grüne sonnenbeschienene Wiese mit einer erneuten grasenden Affenherde.




    Fröhliche Äthiopier in rutschigen Plastiksandalen ion lustig bunten Farben begegnen uns, und ich mache mich in meiner durchnässten Regenjacke auf. Ich Zivilisationskrüppel ärgere mich vor allem über mich selbst. Und als ob das nicht reicht, beginnt es wieder zu gießen. Wenn ich mich jetzt in den Matsch lege, dann ist es echt vorbei mit dem Spaß hier! Ich balanciere über regennasse Steine und patsche durch Pfützen, mein Scout hält mich immer mal am Oberarm fest oder am Handgelenk, und auch mein Guide hat so langsam verstanden, dass ich tatsächlich weit von “Bergziege” entfernt bin.


    Und endlich sind wir am Aussichtspunkt angelangt. Dort sei kein Wasser im Wasserfall, aber der Ausblick sei dennoch schön. Nee, auf den rutschigen Felsen, von dem aus man den Ausblick sehen kann, klettere ich nicht noch! Definitiv nicht! Ich werfe einen schüchternen Blick durch eine Lücke im Gebüsch und trabe mit Todesverachtung wieder zurück.



    Alle haben Angst vor mir. Oh Gott, ja, ich weiß, wenn ich wütend bin, dann können meine Blicke töten… Und Muller wird angerufen und muss mich telefonisch ein bisschen runterreden. Das schafft er. Der schafft sowieso alles, davon bin ich überzeugt. Wie schade, der Tag war so toll geplant, und dann macht das Wetter einen Strich durch die Rechnung! Ich schäme mich ein bisschen für meine schlechte Laune, kann sie aber leider nicht verbergen.


    Die Simien Mountains entschuldigen sich bei mir mit einigen letzten Sonnenstrahlen auf die gewaltigen Felsklippen auf dem Rückweg zur Lodge und ich bin froh, sie nochmals so gesehen zu haben.






    Ich sitze in der Lodge den Rest des Abends in der höchsten Bar Afrikas auf 3260 Metern, esse und trinke Wein, während die offenbar einzigen anderen Gäste, zwei Franzosen, es mir gleich tun. Immer wieder gießt und gewittert es, aber hier ist es nett. In einer Regenpause wechsele ich schon früh am Abend in mein schönes Zimmer. Aber halt, nicht so schnell. Eine hilfreicher Geist läuft mir hinterher und streckt mir etwas entgegen: “hot bottle!” lautet die Erklärung dazu, und ich finde es so unfassbar liebenswert, dass mir eine Wärmflasche überreicht wird, zusätzlich zu den 3 zusätzlichen Decken im nicht beheizten Zimmer bei um die 10 Grad Außentemperatur.


    Wieder mal ist Zähneputzen mit Stirnlampe angesagt, das Wetter hat hier einiges still gelegt, der Strom scheint mehrere Stunden auszufallen, das Internet funktioniert hier leider auch nicht. Aber macht nichts, ich bin sowieso so unfassbar müde, dass ich fast 10 Stunden durchschlafe.

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Wiederum ein so toller (Zwischen-) Bericht - ich kann mich zwar richtig reinversetzen, würde aber Deine Reise niemals wagen!
    Früher war mein Horizont zu begrenzt, jetzt fühle ich mich zu alt.


    Umso schöner, dass Du hier berichtest!

  • Das Mitreisen ist ja auch toll, Angelika...


    So "wagemutig" habe ich mich dann in der Situation gar nicht mehr gefühlt. Alles hatte sich wie selbstverständlich ineinander gefügt. Vorher macht man sich natürlich einige Gedanken, aber vor Ort fühlt sich alles an, als ob es so sein müsste.


    Außer in den Simien Mountains wegen des Wetters und in der Afar-Region war ich aber auch keinen besonderen körperlichen Belastungen ausgesetzt. Und in den Simien Mountains war es auch eher das Wetter als dass die 2 bis 3 Stunden zu Fuß ein Problem gewesen wären...

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)