Bei meinem letzten Besuch in Äthiopien bin ich ja de facto in Mullers Familie aufgenommen und mit der Hoffnung verabschiedet worden, ich möge zum Meskelfest 2020, besser gesagt 2013 nach dem julianischen Kalender wieder bei ihnen sein. So hatte ich mich eigentlich auch innerlich schon darauf eingestellt, im September meine Gastfamilie wieder zu besuchen. Und dann kam Polly. Ach nee, sorry. Dann kam Corona.
So dauerte es im Frühjahr 2020 dann auch nicht lange, bis umfangreiche Reisebeschränkungen rund um den Erdball in Kraft traten, Grenzen dichtgemacht, Flugverbindungen gekappt, Shutdowns und Lockdowns in den verschiedensten Ländern verhängt worden. Rien ne va plus. Weltweit. Gestrandete Urlauber mussten von ihren Heimatländern eingesammelt und heimgeholt werden. Der Tourismus kam überall zu erliegen. Auch in Äthiopien machte die Branche einen Sofortstopp von normal auf null. Drei Monate Lockdown im Land und eine 14 tägige Quarantäne für Einreisende machen Reisen nicht wirklich sexy. Dann wäre ja auch noch die Quarantäne nach Rückkehr aus einem Risikogebiet nach Deutschland. Das waren im Sommer auch 14 Tage. Und Risikogebiet war nahezu der ganze Planet.
Also nichts mit einem dritten Afrikatrip. Kann ich mir abschminken. Kontakt mit Muller hatte ich die gesamte Zeit über. So erfuhr ich auch von den Problemen derer, die in der Tourismusbranche ihre Brötchen verdienen. Praktisch haben all jene seit März kein Einkommen mehr. Zero. Und soziale Rettungsschirme wie bei uns kennt man dort nicht.
Einige Zeit später, erste Hoffnungsschimmer. Der Lockdown in ET wurde aufgehoben, die Einreisequarantäne verkürzt. Dem Tourismus dort half das allerdings herzlich wenig. Den meisten Menschen war reisen in Coronazeiten gründlich versalzen worden. Wenn überhaupt, dann nur in die jeweils klassischen Urlaubsgebiete, so es denn die Coronalage da zuließ. Heißt für D bspw. Malle, Kanaren, Türkei, Italien, Österreich oder Urlaub in Deutschland halt.
Obwohl die Infektionszahlen in Äthiopien nie wirklich die dramatischen Zahlen manch anderer Länder erreichten, blieb das Land beharrlich Risikogebiet aus deutscher Sicht. Da konnte ich so oft in die Liste schauen wie ich wollte. Selbst im Herbst als hier die zweite Welle tsunamimäßig über uns hereinbrach, hatte ET entspannte Neuinfektionszahlen von täglich 300 bis 500 Fällen. Keine Ahnung wie die das machen. Weniger testen vielleicht. Weniger suchen heißt weniger finden.
Der September war inzwischen vorbei. Ich überlegte hin und her und haderte mit mir selbst. Urlaub haste ja genug. Die beiden Quarantänezeiten kann ich mit einplanen. Andererseits ist es total unvernünftig, in der schlimmsten Pandemie seit der spanischen Grippe in ein offizielles Risikogebiet zu fahren. Noch dazu in ein Land mit schwacher Infrastruktur. Im Frühjahr lästerte ich noch über risikofreudige Reisende ab, die ob der Rückholaktionen von 10.000den, raus aus Deutschland wollten, ohne zu wissen ob sie wieder nach Hause kommen so ohne Odyssee. Und jetzt will ich selber so einer werden?
Möchte ich eigentlich nicht. ABER. Wenn ich nicht bald reise, wird es nie mehr. Meine Gesundheit lässt zu wünschen übrig. Und besser wird es nicht mehr. Also jetzt noch einmal eine weite Reise wagen oder ich sehe Afrika nicht wieder.
Dann bekam ich die Info, die Einreisequarantäne sei in ET auf 7 Tage verkürzt worden und könne auch in privater Häuslichkeit verbracht werden. Einen vorzulegenden PCR-Negativtest bei Einreise vorausgesetzt. Herrje auch das noch. Ich kam mir vor wie Adam unterm Apfelbaum. Schließlich wurde ich weich und pflückte die ersten Äpfel, biss aber noch nicht hinein. Erst mal einlagern und weiter abwarten. Bei Muller fragte ich vorsichtig an, wie er es denn sähe, wenn ich zum Jahresende oder im Jan. 21 mal vorbeikäme. Die orthodoxe Weihnacht und das Timkatfest stehen an. Auch bei meiner KV fragte ich vorsichtig an, wie es denn mit der Risikodeckung bei Reisewarnungen aussieht, wenn man dennoch hinfährt. Sowohl Muller als auch die KV signalisierten grünes Licht. Hmmm, ich bekam gerade zwei Äpfel aus dem Korb in die Hände gedrückt mit der Verlockung: Nun beiß schon zu.
So schrieb ich Muller und bat um eine Reiseplanung und schaute, was sonst noch so in Coronazeiten an to do‘s dazukommt. Nun ja, einfacher ist es nicht geworden. Anspruchsvoller im Hinblick auf die Vorplanungen schon. Ein Coronatest, der bei Einreise nach ET nicht älter als 5 Tage sein darf und natürlich negativ sein muss bspw. Den ich aber bei meinem Dr. nicht bekomme in Zeiten, in denen die Laborkapazitäten schon für „medizinisch notwendige“ Tests nicht reichen. Wird also etwas hektisch diesmal. So wie Muller seine Planungen ausarbeitete, so plante ich auf meiner Seite in gewohnter Weise, nur mit wesentlich mehr Druck zeitlich und organisatorisch gesehen. Immer auch mit dem letzten Rettungsanker als Gedanke, die Äpfel in meinen Händen können inzwischen faulig werden. Den Gefallen taten sie mir allerdings nicht.
Ob ich die Reise antrete oder nicht, blieb so gesehen bis zum letzten Moment offen. Der Möglichkeiten, die letzten Endes doch alles noch zunichtemachen konnten, gab es gar zu vieler in diesen unsteten Zeiten. So kommunizierte ich es auch Muller. Er könne erst mit mir rechnen, wenn ich es letztendlich durch die äthiopische Einreisekontrolle geschafft habe. Da er ja die Vororganisation ohne Vorauszahlungen macht, entsteht dahingehend zumindest kein finanzieller Verlust bei ihm. Denn Bezahlung wie immer in bar vor Ort. Nur sein zeitlicher Aufwand wäre umsonst gewesen. So hatte ich mir auch bis zur Abreise vorgenommen, bei Eintreffen einer der vielen möglichen Hinderungsgründe, dies als Zeichen zu verstehen, ein Wagnis doch nicht anzutreten. Bleibt ein solches Zeichen aus, dann ziehe ich es allerdings durch und werde die Reise auch genießen.
Neujahr – 1. Januar 2021 – Mein Coronatestergebnis ist rechtzeitig da. Wie erhofft und gewünscht. Gestern war ich am Pleiten- und Pannenfluchhafen BER im dortigen Testcenter. Das erste Mal seit Eröffnung. Schlussendlich doch schön geworden, muss ich schon sagen. Die Nussbaumoptik macht was her. Somit ist das größte noch vorhandene Hindernis für die Reise aus dem Weg geräumt und ich kann den Rest organisieren. Sonst war ich immer schon lange vorher mit der Planung fertig und musste mich nur noch um das Packen kümmern. Nicht so in Coronazeiten. Den Rückflug hatte ich u.a. wohlweislich noch offengelassen. Jetzt kann ich auch den buchen.
Kurz vor Termin erfahre ich noch, dass bei Einreise innerhalb von 72 Stunden nach Testung die Quarantäne sogar ganz entfällt. Kommt mir gelegen und zeitlich hin. Bei planmäßiger Ankunft hätte ich noch eine Stunde, bis diese Zeit um ist.
Ein Taxi für die Fahrt von der Wohnung zum BER habe ich mir auch bestellt. Wegen einiger Gastgeschenke und anderen Dingen, die ich noch mit runternehmen sollte, ist die große Tasche recht schwer geworden. Es war bei der letzten Reise aus motorischen Gründen schon recht schwierig für mich, mit den drei Gepäckstücken in Tram, Bahn und Bus in Richtung Flughafen unterwegs zu sein. Da ist ein Taxi eine wesentliche Erleichterung, auch wenn deutlich teurer.
Wird auch Zeit, dass ich hier wegkomme. Draußen liegt Schnee am Neujahrstag. Gab es seit 2018 nicht mehr.