Bildausschnitt und Wirkung anhand einer Ikone des Bildjournalismus

  • Ich war gestern interessierter Zuhörer einer Podiumsdiskussion zum Thema "Schlechte Nachrichten Tag für Tag. Wie populistischist der Bildjournalismus?", die in der Wiener Galerie Westlicht im Rahmen der "World Press Photo" stattfand. Die Diskussionsteilnehmer kamen aus dem wissenschaftlichen und journalistischem Umfeld.


    Hier ein interessanter Teilaspekt der Veranstaltung:


    Im Rahmen der Diskussion wurden auch Ikonen des Bildjournalismus besprochen, unter anderem das Bild vom Napalmmädchen des vietnamesischen Fotografen Nick Ut. Was mir bisher nicht bewusst war: Das Bild wurde vor seiner Veröffentlichung beschnitten, was die Bildaussage komplett verändert hat. In der veröffentlichten Version wirken die Napalmwolken viel bedrohlicher, außerdem fehlt dem Originalbild jegliche Dramatik, weil am rechten Bildrand ein Reporter seelenruhig die Filmrolle wechselt.


    Auch die Behauptung, dass das Bild wesentlich dazu beigetragen hat, den Vietnamkrieg zu beenden, weil durch seine Veröffentlichung in den USA die Stimmung kippte, ist nicht haltbar.


    Hier noch ein Artikel, der sich dem Bild widmet und beide Versionen zeigt:
    https://www.welt.de/geschichte…-vom-Napalm-Maedchen.html

  • Der Beschnitt eines Fotos ist für mich eigentlich die wesentlichste Bildbearbeitung.
    Ob das nachträglich oder durch Auswahl eines entsprechenden Objektivs herbeigeführt wird macht ja keinen Unterschied. Der Fotograf entscheidet, was der Betrachter sehen soll.


    Von Robert Capa stammt die „goldene Regel“:
    "Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran."

    ... und die Nähe kann man auch durch Wegschneiden erzeugen.

  • Wegschneiden oder von vorn herein weglassen ist sehr oft eine gute Idee.


    Wobei ich nicht glaube, dass Robert Capa mit seinem berühmten Spruch gemeint hat, man solle näher ans Motiv rangehen. Ihm ging es eher darum, nah an der Geschichte zu sein, also um emotionale Nähe zum fotografierten Thema. Aber auf Capa trifft sicher beides zu. Er war emotional und physisch mittendrin.

  • Hallo,


    so wirklich neu ist die Diskussion ja eigentlich nicht. Es sind nur immer wieder andere Leute, die irgendwann mit Schrecken feststellen, dass man mit Fotos keine Realität abbilden kann, sondern nur hochgradig (zeitlich, räumlich, inhaltlich) gefilterte Situations-Fragmente. Die Geschichte drumherum, die uns emotional dann beutelt, entsteht ausschließlich im Kopf. Gerade das (!) ist ja anerkanntermaßen ein Qualitätsmerkmal sog. "guter" Fotos.


    Ob neben einem verbrannten Mädchen jemand eine Filmpatrone wechselt oder nicht und ob die Napalmwolke dunkler oder heller ist ... dürfte dem Mädchen und ihrer Situation vermutlich ziemlich egal sein. Gerade ist ihre Welt untergegangen, ihr Leben hat sich unumkehrbar geändert und sie zeigt uns das deutlich. Ist das Bild nun populistisch? Zeigt es eine völlig verzerrte Wahrheit? Ich denke nicht. Das Bild ist ein Bild. Mehr nicht.


    Natürlich hat das Bild den Vietnamkrieg beeinflusst. Es kam zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Personen und so fügte sich eines zum anderen. Das Bild hat den Krieg nicht beendet, aber es hat seinen bescheidenen Beitrag geleistet ... gottseidank existierte es. Einfache Lösungen gibt es in so komplexen Situationen wie einem Krieg nicht.


    Ciao
    HaPe

  • Noch eine Anmerkung am Rande zu dem Napalm Mädchen.
    Facebook hatte das Bild gelöscht, es aber nach weltweiten Protesten wieder online gestellt.


    - Streit über Napalm Mädchen

  • Das Bild ist ein Bild. Mehr nicht.

    Auch das war gestern ein Thema. Der an der Diskussionsrunde teilnehmende Fotograf (Christian Fischer von der österr. Tageszeitung "Der Standard") meinte gar: "Ein Bild ist immer unschuldig." So ganz konnte er sich mit dieser Meinung aber nicht durchsetzen. Ein Fotograf will ja mit seinem Bild u.U. etwas ausdrücken, transportieren und auslösen und wählt sein Sujet, die Lichtstimmung, den Bildausschnitt, den Gesichtsausdruck, u.v.m. Man denke an Fotos von Flüchtlingsströmen, da ist schon ein Unterschied, ob ich kleine Kinder und Familien in Szene setze oder junge kräftige Männer. Also - ganz plakativ - Schutzbedürftigkeit oder Testosteron.

  • Noch eine Anmerkung am Rande zu dem Napalm Mädchen.
    Facebook hatte das Bild gelöscht, es aber nach weltweiten Protesten wieder online gestellt.

    Ja, das hab ich mitgekriegt. Dass das Bild 1973 in der Redaktion von Associated Press wegen der Nacktheit des Mädchens für Diskussionen sorgte, ist klar. Aber 2016 ist das ein Armutszeugnis für Facebook.