Heute haben wir Sonnabend den 8.10. 2022, es ist kurz nach 7 Uhr und ich habe sehr gut geschlafen. Das ist wohl dem Umstand geschuldet, das ich gestern sehr lange wach war und über vieles was mich in den letzten fast 3 Jahren beschäftigt hat, intensiv nachdachte. Bis lange nach Mitternacht kam ich nicht zur Ruhe.
Der allmorgendliche Blick von meiner Terasse hoch in Richtung Kilimanjaro verfängt sich in einer blau grauen Wolkendecke. Es hat auch in der Nacht geregnet, das hat die Luft gereinigt und etwas abgekühlt.
Es ist ganz still , nur etwas entfernt hört man ein paar Vögel zwitschern.
Das Wetter vorherzusagen, scheint hier ein leichter Job zu sein, denn mit "teils bis überwiegend bewölkt bei späterer Aufheiterung und ungefähr 29°C Höchsttemperatur" würde man nahezu jeden Tag richtig liegen.
Es ist sehr schön hier in Moshi Tansania. Das Klima, die Vegetation und die bunten Farben der Blüten, die gerade wieder neu austreiben. Die Menschen sind sehr offen und freundlich und in Downtown Moshi taucht man ein in ein Gewusel von farbenfroh gekleideten Menschen, die meist sehr entspannt, aber mitunter auch wild und laut gestikulierend ihr Tagewerk angehen.
Aber wie kam es dazu das ich heute genau hier entspannt sitze und diese Zeilen schreibe?
Dazu muss ich etwas ausholen und fast 3 Jahre zurückschauen.
Das Jahr 2020 sollte ein Highlight und so eine Art Abschluss einer Vielzahl von Reisen sein, die mich eigentlich am Ende des Jahres in alle Länder der Welt geführt haben sollten. Natürlich weiß ich, das "alle Länder der Welt" überhaupt nichts darüber aussagt, wieviel man von unserem Planeten Erde, gesehen hat. Schon gar nicht das man alles gesehen hat. Ich wollte einfach diesen Status haben, um dem gesellschaftlichen Stigma, dem ein Behinderter in der Regel ausgesetzt ist, etwas entgegen stellen zu können.
2010 als ich die schreckliche Diagnose "Parkinson" bekam, grübelte ich wochenlang, wie ich wohl dieser Krankheit begegnen sollte. Ich dachte auch an meine Enkelkinder, die damals noch gar nicht geboren waren, und das sie ihren Opa höchstwahrscheinlich nur als schwer kranken und behinderten Menschen erleben würden.
Welches Kind möchte schon einen Schwerkranken, womöglich im Rollstuhl sitzend, mit verzerrtem Gesichtsausdruck und permanent zitternden Händen als Opa haben. Was bleibt dann noch übrig an Menschlichkeit, wenn aus Liebe Scham wird. Wenn andere Kinder lustige und interessante Geschichten über ihr Zusammensein mit ihrem Opa erzählen,
würden sie bestenfalls berichten können, wie sie ihm vielleicht beim Essen geholfen haben und den aus dem Mund laufenden Speichel abgewischt haben.
Es ist "Gott sei Dank" nicht so gekommen und heute kann ich sagen "Ich habe die schönsten Enkeltöchter der Welt" Nun, ich habe noch nicht alle Länder dieser Welt bereist, aber trotzdem ging diese Runde eindeutig an mich und nicht an "Herrn Parkinson." Die beiden Mädchen wissen schon, das ihr Opa in der ganzen Welt unterwegs war und immer noch ist und manchmal ziemlich verrückte Sachen zu machen scheint. Und das ist etwas das bleibt.
Zurück zum Jahr 2020...
Es war im Grunde alles geplant, Ich hatte alle Flüge gebucht, Pässe vorbereitet, teilweise schon Aktivitäten in verschiedenen Ländern im Fokus, angefragt oder auch schon gebucht. Am Ende des Jahres wollte ich dann an der Hochzeitsfeier meiner australischen "Gasttochter" in Melbourne teilnehmen. Was für ein Jahr hätte es werden können? Was für ein Jahr es wurde, wissen wir, zurückblickend, alle nur zu gut.
Eine schöne Reise nach Frankreich Provence, Italien, Schweiz und später durch die Niederlande, Belgien und Luxemburg waren nicht mehr als "Pflaster auf die Wunden der Enttäuschung."
Aber vielleicht im nächsten Jahr, Carneval in Port of Spain Trinidad fast so schön wie in Rio und nicht ganz so gefährlich. Wieder Planung, Buchung von Flügen und Unterkunft ( Normalerweise ist dort Monate im voraus alles gebucht. )und viele Gespräche mit meinem Freund Marcus Williams, einem karibischen "Spaßvogel" und Hobby - Entertainer aus Trinidad. Schon früh war klar, das sich auch das zerschlagen würde.
Ende des Jahres 2020 war ich in einem absoluten Stimmungstief.
Nicht etwa aus Angst vor einer Infektion mit einem Virus, sondern schlicht und ergreifend, weil wertvolle Lebenszeit einfach so verging. Eine verschwendete Zeit, die Stunde um Stunde, ähnlich wie aus einem defekten Hahn tropfendes Wasser, Tropfen für Tropfen, nicht wieder kommen würde. Dann dieses ständige Auf und Ab, Maskenpflicht, LockDown, Testen, Impfen , 2G, 3G. Was darf man wo und wie machen? Was muss man vorzeigen, wie lange ist irgendetwas gültig oder auch nicht. Ich hatte, um es mal ganz salopp zu sagen, die Schnauze voll.
Dann im Januar die "Flucht." Aber wohin konnte man überhaupt fliehen?
Es kam nur eine kleine Anzahl von Ländern infrage. Äthiopien? Ja, Äthiopien war offen. Na ja, sagen wir halb offen. Tansania? Ja, eventuell auch Tansania.
Das Flugticket war kein großes Problem, das Visum für Äthiopien auch nicht. Aber das Visum für Tansania kam einfach nicht und ein Visa on arrival gab es offiziell nicht. Gemäß der Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes (auswaertiges-amt.de) war es im Prinzip unmöglich bzw. ganz und gar nicht empfehlenswert in diese Länder zu reisen.
Ich glaube am 20. oder 21. Januar bin ich dann von Frankfurt über Addis Abeba nach Hawassa geflogen, um dort einen Freund zu besuchen.
Auf dem Flughafen Frankfurt wirkte alles gleichermaßen unwirklich wie gespenstisch auf mich. Ähnlich eines Drehbuchs aus der Feder des gleichen Authors , der "Kevin - Allein zu Haus" geschrieben hatte.
Ich war gefühlt, alleine auf dem riesigen Frankfurter Airport. Irgendwo fand ich dann den Check in Schalter der Ethiopian Airlines und später auch das Gate.
Angekommen in Addis und alle Einreiseformalitäten überstanden, hellte sich meine Stimmung auf. Jedes Mal wenn ich in Bole lande, gibt mir das so einen Kick und mein Körper scheint in einen anderen Modus zu schalten. Weg
von der "drehmomentstarken Geländefahrt mit 1000 Hindernissen" hin zur Wiederentdeckung der kindlichen Leichtigkeit des Seins.
Fortsetzung folgt..