Japan 2022, immer noch irgendwie unwirklich...

  • Der letzte Kyoto-Beitrag am letzten Kyoto-Tag, und der Himmel wird Trauer tragen. Tatsächlich ist es der erste Tag (von zwei insgesamt) an dem wir keinen strahlend blauen Himmel hatten.


    Unsere gebuchte Arashiyama-Tour schenkten wir Tochter plus Freund, denn meine Adduktoren-Reizung machte mir immer noch zu schaffen, so dass ich und Frau es heute "übersichtlicher" gestalten wollten.


    15:00 Uhr wollten wir uns dann wieder im Hotel treffen, die Koffer schnappen und mit dem Shinkansen zurück nach Tokio düsen.


    "Übersichtlich" bedeutete gerade einmal zwei Stationen zu einem weiteren wichtigen Touri-Hotspot, dem Nijo Palast.


    Dieser "Palast" ist im Grunde eine Mischung aus Fürstenresidenz und Burg. Sie war Residenz der Tokugawa als Clan, und gleichzeitig der Tokugawa Shogune in der kaiserlichen Hauptstadt der Edo-Zeit. Tatsächlich ist es zugleich die einzige erhaltene Fürstenresidenz in ganz Kyoto. Sollte man nicht glauben, bei dem ganzen alten Zeugs was in Kyoto rum steht.


    Das wirklich Interessante am Nijo ist, die "vertauschten Rollen" der Anlage im Vergleich zu anderen Burgen Japans. Ich schieb das schon im Hikone Beitrag: viele kennen als Burg nur den mehrstöckigen Hauptturm, den Tenshukaku. Dieser ist auch meist das Einzige, was von der ganzen Anlage noch erhalten ist (wenn es nicht eine Kopie aus Stahlbeton ist). Die ganzen Residenzgebäude fehlen. Aber genau hier spielte sich alles ab, leben, lieben, schlafen, feiern, arbeiten, Intrigen, Dramen, Politik.


    Der Nijo besaß im Honmaru Bereich dereinst ebenfalls einen stattlich fünfstöckigen Turm. Dieser stammte zuerst von der Burg Koriyama, ein paar Jahre später von Hideyoshis Burg Fushimi. Das ist auch kein Problem, da alle alten jap. Gebäude an sich Holz-Fachwerkbauten sind, welche man easy auf- und abbauen kann. Im 18 Jahrhundert traf schließlich ein Blitz den Turm, worauf dieser ein hübsches Feuerchen abgab. Niemand hatte danach Lust, das Dingens wieder aufzubauen, auch weil es in der friedlichen Edo-Zeit eh zu nichts nutze war.


    Die Residenz im Ninomaru-Bereich blieb erhalten, was das Ensemble prompt zum Unesco-Weltkulturerbe qualifiziert. Die Anlage machte insofern Geschichte, weil hier das letzte Shogunat 1601 installiert, und 1867 wieder demontiert wurde. In den 1860er Wild-West-Jahren war es auch das Hauptquartier einer pro-Tokugawa paramilitärischen Einheit, bestehend aus den Söhnen von Fürsten und hochrangigen Bakufu Samurai, da es hier eine Kaserne gab. Bekannt dagegen ist meist nur die Shinsengumi, welche dagegen nur aus Ronin bestand.


    Erhalten sind auch alle Wirtschaftsgebäude, sogar aus der Entstehungszeit dieser Anlage. Meine Frau war bitter enttäuscht, dass diese nicht besichtigt werden können, bzw. hergerichtet wurden, wie sie dereinst innen ausgesehen haben könnten.


    Etwas befremdlich fand ich das "Ausstellungsgebäude" in denen ein paar extrem wichtige Artefakte lieblos zwischen Klo und Getränkeautomaten in einer Vitrine "präsentiert" wurden. Sehenswert sind die Park- und Gartenanlagen der Burg. Der Ninomaru-Garten soll sogar auf den Tee-Meister Kobori Enshu zurück gehen. Apropos Tee-Meister: Enshu war gleichzeitig Fürst, und die Kobori Statthalter der Tokugawa in Kyoto. Dies zeigt, wie sich die Gesellschaft im frühen 17. Jahrhundert änderte. Waren die bedeutendsten Tee-Meister ein paar Jahrzehnte vorher noch Bürgerliche, wurde die Teezeremonie für die militärische Elite nun ausschließlich von hohen Vertretern der eigenen Kaste angeführt. Man blieb unter sich und die gesellschaftlichen Schranken wurden wieder eisern.


    Ganz lustig sind die Nachtigallen-der Flure der Residenz. Metallklammern in der Dielenkonstruktion geben ein liebliches zwitschern ab, wenn man darüber läuft. Das soll angeblich verhindern, dass arglistige Mordbuben vordringen können, um irgendwen Wichtigen zu meucheln. Wenn sich jedoch wie bei uns noch -zig Schulklassen und andere Touristen durch die Gänge schieben, gerät das ganze zum infernalischen Gegacker.

  • Fans der japanischen Geschichte sollten nach dem Besuch des Nijo, den Shinsen´en Tempel ganz in der Nähe besuchen. Diesen kleinen "Park" mit einem Teich kann man schnell übersehen und auf den ersten Blick scheint auch nichts besonderes daran zu sein.

    Doch ist dies ein winziges Stück des uralten Heiankyo, als die Hauptstadt im späten 8. Jahrhundert von Nara nach Kyoto umzog. Ursprünglich war es ein "geheimer Garten" der jap. Kaiser, lag damals noch außerhalb von Kyoto, besaß eine Quelle mit einem Bach und einem großen See für Bootsfahrten und wunderschönen Miniatur-Landschaften. Hier quälten sich die feinen Damen und Herren gegenseitig mit Kettengedichten, starrten angestrengt in den Mond, hörten sich höfisches Gedudel an, angelten oder gingen der Falkenjagd nach, und was man so halt macht als Angehöriger der kaiserlichen Etepetete.


    Klimakrise gab es schon damals, und als es in den frühen 800ern üble Dürren gab, bat man Kobo Daishi (eigentlich Kukai, dem Begründer des Shingon-Buddhismus) hier um einige ganz un-buddhistische Zaubereien. Dieser beschwor für Regen einen Drachengott herbei, der in den See geplumpst und fortan noch dort hausen soll. Das scheint wunderbar funktioniert zu haben, so das dieser Ort immer wieder für Zeremonien bei fehlenden Regen und auch bei Epidemien herhalten musste, und eben deshalb als besonders magisch und heilig gilt.


    Aber auch früher gab es schon kulturelle Rüpel. Einer war ausgerechnet der erste Tokugawa Shogun Ieyasu Tokugawa. Zum einen überbaute er den nördlichen Teil des geheimen Garten mit seiner Protz-Villa von Nijo-Palast, und zum anderen grub er einfach die Quelle des Shinsen´en ab, um die Burggräben damit zu fluten.


    So wenig Taktgefühl ärgerte Fürsten wie Katsushige Itakura und Katsumoto Katagiri, welche verschnupft aber dezent den letzten Rest des einstigen riesigen Garten renovierten und zum buddhistischen Tempel machten.


    Wehmütig ging es zum Hotel zurück um das Kapitel Kyoto abzuhaken. Anfangs hatte ich Kyoto nicht gemocht und fand die Leute hier distanziert und arrogant. Aber Kyoto wurde nach und nach zu einer heimlichen Liebe von mir.


    Nachdem mit einstündiger Verspätung auch ihre Lordschaften von Tochter und Freund geruhten einzuschweben (weil man einen Laden mit tollen handgenähten Öko-Fummeln entdeckte und man sich nicht entscheiden konnte), dackelten wir zur Kyoto-Station, um einen Shinkansen zu entern.


    Wieder zurück in Tokio hätte der Kontrast der Gegend unserer neuen Bleibe in der Ginza-Ecke nicht größer zu Kyoto sein können. Statt der grünen Hügel am Horizont nur noch Hochhaus-Schluchten, statt altehrwürdiger Tempel, Business aus Beton und Glas und Licht.


    Und zum Schluss hing dann noch der Haussegen zweimal schief. Einen schiefen Blick erntete ich für das neue Hotelzimmer! Aber ich schwöre Euch, für Tokioter Verhältnisse ist ein Zimmer mit Sitzecke, Abstellmöglichkeiten für Koffer, sogar einer kleinen Garderobe echter Luxus zum Standard, bei dem man sich kaum drehen kann! Meine Frau war inzwischen echt Kyoto-verwöhnt!

    Und das zweite Drama, auch dieses Hotel besaß keine Waschmaschine! Unsere frischen Sachen gingen bedenklich zur Neige! Fortsetzung folgt.

  • Die Bilder und dein Bericht über Kyoto fand ich mega faszinierend.....jetzt freue ich mich noch mehr darauf einige dieser Dinge selbst zu sehen. 😍

    Das werdet Ihr sicherlich. Als nächste Berichte kommen nun Tokio plus Umgebung, vielleicht ist ja da auch was für Euch dabei.

  • Die Bilder und dein Bericht über Kyoto fand ich mega faszinierend.....jetzt freue ich mich noch mehr darauf einige dieser Dinge selbst zu sehen. 😍

    Das werdet Ihr sicherlich. Als nächste Berichte kommen nun Tokio plus Umgebung, vielleicht ist ja da auch was für Euch dabei.

    Da bin ich mir ganz sicher 😉. Freue mich schon auf den Input .

  • Zwei Tage ist unser Railpass noch gültig. Wir hatten nur die 7 Tage-Version gebucht, und wollten damit im Wesentlichen den Kyoto/Nara/Hikone-Trip abdecken.


    Nach Nikko würde der Pass dreiviertel der Strecke abdecken, zumal der Shinkansen wieder etwas preisintensiver wäre...


    ...noch am Abend der Rückkehr schauten wir uns beide prüfend an (ich,Frau), wie der Enthusiasmus für einen Nikko-Trip wäre. Mmmmh, wieder extrem früh aufstehen, mindestens 2 Stunden fahrt...ja, ich will unbedingt nach Nikko, aber es stehen ja noch weitere "weite" Ausflüge an, pfffff...


    ...was wäre denn für morgen die Alternative? Fragt Frau.


    Naja, wir könnten nach Kamakura, das ist auch eine JR-Strecke. Ansonsten ist morgen der 28., da müsste Flohmarkt in Kawagoe sein...


    Oh ja, Flohmarkt! Entscheidet meine Frau.


    Hast Du nicht in Kyoto genug Flohmarkt gehabt?


    Nöö, ich find´s interessant!


    Na dann, Flohmarkt.


    Ja, und morgen Abend müssen wir dann ein Waschsalon finden, droht meine Frau.


    Jaja...


    Zuerst mal Frühstück im neuen Hotel. Es ist unser drittes Hotel dieser Reise, und es ist interessant, wie diese die Frühstückspraxis handhaben. Herbst 2022 bestimmt noch Covid den Alltag in Japan.

    Im Cross in Kyoto wurde man am Tisch wie im Restaurant bedient. Eigentlich wäre hier ein Buffet üblich, doch nun kann man sich aus 6 verschiedenen, sehr umfangreichen Menüs was aussuchen, und sogar Sonderwünsche äußern. Alle Tische waren separat, und trotzdem noch mit Plexiglas-Scheiben zum Nachbarn gesichert.


    So viel Platz hat unser neues Hotel nicht. Wir staunen, dass es hier tatsächlich ein Buffet gibt. Zuerst wird wie überall obligatorisch Fieber gemessen, dann bekam man ein Paar Einweg-Handschuhe, tja, und dann Mahlzeit. Es gab nur wenige separate Tische und kein Plexiglas. Aber es war auch nie sonderlich viel Betrieb beim Frühstück. Also alles gut.


    Apropos Fiebermessen. Ich gebe es zu, ich hatte anfangs Schiss, dass uns die Infektion in Japan erwischen könnte. Ein Bekannter, der fast zeitgleich in Japan war um sein dort lebenden Sohn zu besuchen, ereilte tragischer weise dieses Schicksal tatsächlich, und die gesamt Familie dazu.


    Überall sind mehr oder weniger versteckte Fiebersensoren. Das ging schon los, nach den man wenige Meter das Flugzeug verlassen hatte, und setzt sich in jedem Laden, jeden Restaurant, Museum, Burg, etc fort. Man wird regelrecht paranoid, und jede kleine Veränderung des eigenen Befindens löste schon neurose-ähnliche Zustände aus.

    Zum Glück ebbte dieser Zustand bei mir im weiteren Verlauf der Reise immer mehr ab. Jetzt könnten einige schmunzeln, aber ich verweise darauf, das Tochter und Freund auch Highlife und Clubs in Tokio erleben wollten. Und vor allem: Halloween stand vor der Tür! Das wollten wir alle erleben.

    Das Besondere: der 31.10. war ein Montag. Da müssen die Japaner aber arbeiten. Also gingen die Partys bereits an diversen Orten ab Freitag-Abend, Samstag und Sonntag ab. Deswegen passierte die Halloween-Tragödie 2022 in Seoul auch in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober. Und dies wurde im japanischen Fernsehen richtig übel ausgeschlachtet! Ganz nach dem Motto, die Ausländer sind Schuld, es ist immer noch Corona und deswegen feiert man das nicht,, auch in Hinblick auf Halloween in den Szenebezirken Tokios. Da wurden angetrunkene und grölende Ausländer im Fernsehen gezeigt, sowie eine umgekippte und liegengelassene Bierflasche mit entsprechender Pfütze dramatisch in Szene gesetzt.

    Auch sonst wurden die ersten Touristen nach der Reise-Isolation JEDEN Abend im Fernsehen sehr kritisch betrachtet. Mit Vorliebe wurden übergewichtige Amis in Gruppen im Fernsehen präsentiert, welche es wagten in Freien die Maske nur auf den Kinn zu tragen, oder die Nase herausschauen zu lassen.

    Man darf auch nicht vergessen, dass wir mit den Formularen der MySOS-App einen Eid geleistet hatten, die Regeln einzuhalten. Mit der App hätte man theoretisch überprüfen können, wo wir gerade sind, und letztendlich durften wir nicht einfach sporadisch ein Hotel buchen, und damit von unserer angegebenen Tour abweichen.


    Aber ich kann jeden beruhigen: im Alltag wurden wir keinesfalls wie giftige Insekten betrachtet. Ganz im Gegenteil! Die Japaner waren, wie ich sie vorher kannte. Ich habe keinerlei versteckte Ablehnung gespürt. Nur das eben jeder überall eine Maske trug (selbstverständlich auch draußen, selbst mitten in der Natur). Nur ganz selten "erwischte" man Eingeborene ohne Schnutenpulli.


    Aber zurück zu Kawagoe. Ich hatte den Ort und den Flohmarkt hier bereits im "alte Liebe rostet nicht-Fred" recht ausführlich beschrieben. Deswegen fasse ich mich eher kurz.


    Kawagoe ist einer der vielen Orte, der im riesigen umgebenen Siedlungsteppich der Kanto-Ebene sowie der Mega-Metropole Tokio liegt, ohne das man mit mitbekommt, wo ein Ort endet, und der nächste beginnt.


    Die Kanto ist Japans größte zusammenhängende Ebene und heißt eigentlich Sinngemäß "östlich der Sperre". Die Sperre ist der historische Zollposten Hakone, ein geographisches Nadelöhr, wenn man auf der Tokaido, der Ost-Meer-Straße nach Edo, dem heutigen Tokio wollte. Die Kanto erhielt der spätere Shogun Tokugawa Ieyasu im späten 16. Jahrhundert von Toyotomi Hideyoshi im Gegenzug dafür, dass dieser Provinzen in der Kansai-Region und seine Stamm-Provinz Mikawa abgab. Damit hielt er sich seinen größten Konkurrenten auf Abstand, welcher gleichzeitig im Westen von den widerspenstigen Hojo, im Norden von den unberechenbaren Date eingeklemmt war.


    Kawagoe selbst war eine Niederungsburg, die von einem Gefolgsmann der mächtigen Uesugi gebaut wurde, der auch für die ursprüngliche Burg von Edo/Tokio verantwortlich war. Diese Burg wurde 1545 von den Hojo aus Odawara besetzt, welche ihren Machtbereich ausweiten wollten. Als die Uesugi mit rund 80.000 Mann anrückten, um die Burg zurückzuerobern, gelang es der Burgbesatzung, sowie einem kleinem Entsatz-Heer, die achtfach überlegene Uesugi-Armee in einem Nachtangriff zu überfallen und den feindlichen Fürsten zu töten. Diese Schlacht ist ziemlich berühmt und wurde einige male verfilmt.


    Meine Schlachten schlage ich derweil auf den Flohmarkt auf dem Gelände des Naritasan, gleich in der Nähe des Kita-in Tempels.


    Frau: Guck mal, die Keramik-Platte (stellt man unter einem Kohlebecken, um Teewasser für die Tee-Zeremonie zu erhitzen) kostet nur ZEHN Euro!


    Ich: ja, super! Die wiegt ne Tonne! wie willst Du die den mitnehmen?


    Frau:: aber die kostet nur ZEHN Euro! Die brauchst du doch noch! (Diese Platten sind hier verdammt selten, durch die Größe und das Gewicht kostet der Versand oft schon 150 bis 180 Euro, und dann kommt noch Zoll und EUSt dazu)


    Ich: ja...äh ...nein. Wie willst Du die noch wegkriegen?


    Frau: na dann kaufen wir noch ein kleinen Koffer!


    Ich: och, nööö!


    Zum Glück hat meine Frau zwischenzeitlich was anderes entdeckt.


    Mittlerweile habe ich genug Erfahrung, um diesen Markt für Antik- und Flohmarkt-Fans ehrlich zu empfehlen. Er ist zwar erheblich kleiner als die Kollegen in Kyoto oder Tokio selbst. Aber hier ist alles deutlich günstiger, die Händler sind entspannt, sind Smalltalk nicht abgeneigt und freuen sich mit einem mit. Hier macht es einfach Spaß!


    Ich war mir nicht sicher, ob dieser Markt die Pandemie überlebt hat und fürchtete ein leeres Tempelgelände vorzufinden und war ziemlich erleichtert, von weiten die Stände zu entdecken. Tatsächlich waren es nur etwa 65% der Stände, wie ich den Markt 2019 erlebte, sicher als Folge fehlender Touristen. Aber wir waren nicht die einzigen Ausländer vor Ort. Der Markt ist durchaus bekannt und beliebt.

    Mir machte das nichts, das Wetter war herrlich und Kawagoe wirkte irgendwie verschlafen. Wenig Menschen, wenig Autos. Wir ließen alle Sehenswürdigkeiten links liegen, umgingen die Shopping-Straßen und Einkaufszentren am Kawagoe Bahnhof, stattdessen nutzen wir die kleinere Kawagoeshi-Station.


    Wir mussten ja noch Wäsche waschen. Uuuuund die Wetter App versprach am nächsten Tag 100% wolkenloses Wetter in Kawaguchiko am Fuß des Fuji. Selbst wenn in Tokio strahlendes Wetter ist, muss dies am Fuji nicht der Fall sein. So geschehen die letzten Tage, da war es am Fuji immer bewölkt. Nach 2019, wo ich mit Tochter dort war, würde ich diese schöne Gegend nun auch Frau zeigen wollen.


    Wir machen einen Deal. Meine Frau kümmert sich um die Wäsche, und ich mich um die Bus-Tickets.

    Und ich bin ehrlich stolz auf sie. Obwohl sie kein englisch, geschweige japanisch kann, und ihr Tokio vollkommen fremd ist, meisterte sie die Wäsche Mission nur bewaffnet mit Handy, Google Maps und Google Translator, sowie ihrer Suica-Karte in einem zwei U-Bahn Stationen entfernten Waschsalon absolut souverän. Wer weiß, ob ich das gepackt hätte...


    Fotos hatte ich leider in Kawagoe kaum gemacht.

  • In Shinjuku tue ich mich etwas schwer, den Weg zum Busbahnhof zu finden, welcher sich in den oberen Etagen eines Gebäudes gegenüber dem Bahnhof befindet.


    Profimäßig stürme ich den winzigen 7eleven des Terminals, denn in Überlandbussen darf man essen und trinken. Der Laden ist wie schon 2019 rappelvoll und mindestens 6 junge Kassierer rufen unermüdlich die Leute zu sich an die Kassen, damit kein Stau entsteht.


    Das ganze Terminal ist voller Reisende. Unser Bus fährt entgegen 2019 an einem anderen Bussteig ab, aber dort ist kein Platz zu finden, also sitzen wir erstmal ganz woanders.


    Es ist Samstag. Obwohl es in Japan nicht unüblich ist, 6 Tage zu arbeiten, haben trotzdem viele Wochenende und wollen irgendwo hin. Mann könnte von hier aus nach Matsumoto zur Krähenburg, oder nach Nagano zu den Schneeaffen, im Juli und August zur 5. Station am Fuji, oder sogar runter bis nach Himeji. Das ist wirklich ein ernster Tip von mir: wer zäh genug ist und 6 bis 7 Stunden Busfahrt aushält, fährt über Nacht für ein Bruchteil der Shinkansenkosten über Nacht nach Nagoya oder Osaka und spart damit eine Hotelübernachtung.


    Die ersten drei Busse nach Kawaguchiko waren am Vortag bereits ausgebucht. So würden wir erst gegen 10:00 dort ankommen.


    Dachte ich.


    Die Fahrt war eine Katastrophe! Wir sind ewig in Schritttempo mit dem Bus aus Tokio gekrochen. Erst dachten wir, vielleicht ein Unfall oder eine Baustellen. Aber im Grunde war es schlicht zähfließender Verkehr stadtauswärts. 2019 unterhalb der Woche waren wir gewohnt auf die Sekunde in Kawaguchiko angekommen. Jetzt kamen wir mit fast 1 Stunde Verspätung am Fuß des Fuji an. Wir raus aus dem Bus, rein in den Bahnhof, die Kawaguchiko-Tickets geholt (gelten 2 Tage für alle Busse) und raus aus dem Bahnhof. Ich sehe wie ein letzter Passagier im grünen Bus verschwindet und wir begehen ein NoGo in Japan, rennen zum Bus hechten durch die Tür, die gerade sich schließen wollte. Ich halte die Luft an, aber der Bus ruckt an und los gehts, uffff... der Bus ist voller Rentner und ein paar Wanderern, die aussehen, als wollen sie zum Mount Everest. Alle Plätze sind besetzt. Das bedeutet 40 Minuten stehen.


    Warum die Eile? Ende Oktober 2022 fuhr die Linie nur im Stundentakt. Aktuell sind es wieder alle 30 Minuten.


    Schon während der Anfahrt offenbarte sich Katastrophe Nummer 2: wolkenloser Himmel war vorausgesagt. Das war er auch. Strahlend blau. Überall. Nur der Fuji war weg. Verschluckt von einer riesigen Dunsthaube.


    Ich will die Tour von 2019 machen, nur umgedreht. Zuerst will ich meiner Frau Iyashi no Sato zeigen. Ein verträumter Ort, nach einem Erdrutsch ganz im traditionellen Stil wieder aufgebaut, eine Kunsthandwerk-Kolonie mit Papierkunst, Korbflechten, Keramik und einiges mehr.


    Die Wanderer steigen zuerst aus, hier gibt es zig Wanderrouten in den umliegenden Misaka-Bergen. Dann steigt die Rentnergang an der Fledermaushöhle aus, und watschelt geschlossen erst mal zum öffentlichen Klo.


    Die nächste Haltestelle raus und ich bin wieder vom Zauber gefangen. Zwar stehen keine Kirschen in voller Blühte wie 2019, dafür schillern die Berghänge in allen Farben des japanischen Herbstes hier auf 1000 Meter Höhe. Obwohl Samstag ist es extrem leer, so können wir in Ruhe Iyashi no Sato genießen.


    Mittlerweile hat sich die Fuji-Dunstglocke in eine riesige Schäfchenwolken-Herde verwandelt, und umzingelt nach wie vor den Berg.


    Schließlich haben wir Hunger und erleben eine lustige kleine Alarmanlage. Am Fuji muss man Udon essen, das ist hier eine Spezialität. Deswegen zieht es mich in ein kleines Udon-Restaurant. Wir setzen uns und der Wirt kommt mit einer Karte, dribbelnd folgt ihm ein winziger Flusen-Hund, nicht größer als eine dicke Ratte. Der Wirt geht wieder, und die Fluse kringelt sich neben uns ein. Kawaiiii!

    Wir sind die einzigen Gäste, die Nudeln sind alle und ich schau auf die Uhr. Jetzt noch etwa 3 Kilometer gemütlich durch den Wald, dann die Höhlen. 16:40 sollten wir den Bus bekommen, denn das wäre der vorletzte Bus zurück nach Kawaguchiko. Sicher ist sicher.

    Kein Wirt zu sehen. Ich suche ihn mal und zahle gleich, sage ich zu meiner Frau und stehe auf. Wauuuuuwauwauwauwau....empört sich die Fluse und schwupps ist auch der Wirt da.


    Ich suche den Wanderweg und Eingang zum Wald und versuche angestrengt mich zu erinnern. Nichts ist ausgeschildert und wir verlaufen uns einige 100 Meter im Wald, doch dann bin ich sicher, richtig zu sein. Dies ist ein Teil des Jukai Natural Trails Rundweg von etwa 12 Kilometer Länge. Mittlerweile habe ich mehrfach gehört, dass Teile davon nicht mehr passierbar sind, weil sie nicht mehr gepflegt werden. Unser Teil wird öfter von Iyashi zu den Höhlen genutzt und ist einfach zu gehen.


    Und diesmal zieht der Jukai alle Register, für die der Geisterwald so berüchtigt ist. Es ist TOTENSTILL. Keine Vögel, kein Rauschen der Bäume, nichts! Ich habe Videoaufnahmen gemacht, bei denen man nur meine Schritte und mich atmen hört. Und die Geister narren mich! Einmal meine ich Teile eines Daches eines Tempels zwischen Bäumen zu sehen, ein anderes mal ein blaues Zelt. Kein Scherz! Es ist so, dass man nicht stutzig wirkt und denkt, steht da echt ein blaues Zelt? Nö, man meint kurz ein Zelt zu sehen, und nach ein, zwei Minuten des Weges denkt man, hähhh, ein Zelt, bist du nicht ganz knusper?

    Natürlich war nix in den Nudeln. Es ist das intensive Licht und das Spiel der Schatten, der dichte Wald, der zerklüftete Boden, Farne, Moos und die sich auf den Lavageröll wie Drachen schlängelnden Wurzeln der Zedern. Da sieht man gerne mal was man im Jukai sehen will.


    Irre ist auch Folgendes: da kommt uns als einzige Wanderer zwei Japaner auf dem Weg entgegen. Beide tragen Masken. Mitten im Wald, im nirgendwo, am Ar...äh Fuß des Fuji. Und was macht man selbst? Kramt hastig nach der eigenen Maske und setzt sie auf.


    Am Parkplatz zur Windhöhle erreichen wir die Zivilisation. Hier herrscht Wochenendausflug-Betrieb. Ich lotse meine Frau zur Windhöhle, bleibe selbst aber draußen, weil es mir schlicht zu voll war. Anschließend bummeln wir noch durch den den Andenken-Shop am Parkplatz, der Bus müsste eh bald kommen.


    Wir schlendern zur Haltestelle, wo bereits ein jap. Pärchen wartet. Es ist 16:40, kein Bus. 10 Minuten später, nichts. Gut, da war eine Sportveranstaltung an der Strecke, da wird einiges aus den Takt geraten sein. Nach 25 Minuten bekomme ich schlechte Laune. Da kommt nichts mehr, da bin ich sicher. Der letzte planmäßige Bus müsste in 35 Minuten kommen. Müsste.

    Da kommt er! Ruft meine Frau. Na fein! Äh, warte mal ... das ist die blaue Linie! Das Pärchen steigt ein. Wo ist mein Streckenplan? Mist, keine Zeit! Sumimasen, basu wa Kawaguchi no Eki ni ikimasu ka? Das Gebrummel des Busfahrers werte ich als Zustimmung. Schnell noch rein. Der Bus ist fast leer. Endlich angle ich den Plan hervor und mir wird schlecht. Die blaue Linie macht die größte Strecke bis hin zum Motosu-See. Wenn wir jetzt Pech haben fahren wir locker eineinhalb Stunden! Die nächste Haltestelle wird angekündigt. Ich vergleiche...ufff...das ist die Rücktour, Glück gehabt. Tatsächlich ist diese Strecke kürzer als die Rücktour des grünen Busses.


    Jetzt im Licht der untergehenden Sonne präsentiert sich der Fuji fast wolkenlos, so können wir ihn mehrfach während der Fahrt bewundern.


    Die Rückfahrt nach Tokio rundet die vielen kleinen Pannen des Tages ab. Raus aus den Bus rein in den Bahnhof. Zweimal bitte der nächste Bus nach Shinjuku! Es sind nur noch Einzelplätze frei, also getrennt sitzen. Egal! So, jetzt noch was essen! Nee, schaffen wir nicht, der Bus soll in 7 Minuten fahren. Schnell noch Getränke vom Automaten holen.


    Ich kürze mal ab. Natürlich fuhr kein Bus in 7 Minuten. Die Verspätungen am Morgen setzten sich den ganzen Tag fort, und es muss natürlich erstmal ein Bus aus Tokio da sein, um wieder zurück fahren zu können. Und da es diverse Busse erwischte, wartete ein riesen Mob mit unterschiedlichen Zielen am Bahnhof. Jedes Mal wenn ein Bus kam war es wie Lotto, wohin der fuhr und wer mit durfte. Da aber auch unterschiedliche Anbieter Shinjuku anfuhren, verwirrte es auch die sonst so geduldigen Japaner und Touristen zusätzlich. Der Bus fährt nach Shinjuku, da will man auch hin, aber es ist der falsche Bus. Viele fangen an, ihre Tickets zu vergleichen: fahren Sie auch mit Busunternehmen xy, wollten sie um yz Uhr fahren? So lernen wir eine junge Japanerin kennen, die mit dem selben Bus wie wir fahren will. Lachend stellt sie fest, dass sie den Sitz neben meiner Frau hat. Sie bietet an zu tauschen, aber erst im Bus, denn sie hatte online gebucht, und deshalb steht ihr Name drauf. Die Busfahrer nehmen das sehr genau.


    Nach etwa einer Stunde und es war inzwischen dunkel, kam ein recht voller Bus an. Erstmal passierte nichts und der Fahrer verglich irgendwelche Listen. Dann verschwand er im Bus und man sah, wie einige Insassen ihre Sachen zusammen raffen mussten und schließlich ausstiegen. Dann rief der Fahrer laut die Busnummer und wir gehörten nach strenger Ticketprüfung zu den Privilegierten, welche einsteigen durften.


    Das war unser einziges kleines Chaos, im sonst so akkurat durchorganisierten Japan.

  • Der Alltag hat mich dermaßen gefressen, dass ich hier nicht weiter gemacht habe. Aber ich will meinen Beitrag zu Ende bringen. Auch wenn die Erinnerungen nicht mehr sooo frisch sind. Ich werde einfach weniger Text schreiben, höchstens einige Schwerpunkte...


    Sonntag, schönes Wetter, Kamakura!


    Ich liebe Kamakura und ich wollte den Ort unbedingt meiner Frau zeigen. Nun, Sonntag ist in Japan Ausflugstag, ach was soll´s! Damals hatte ich mit Tochter den Hasedera nicht mehr geschafft, aber vorher hatte ich noch ein Termin beim Hojo Tokimune Mausoleum im Engakuji-Tempel.


    Bei der 2019er Reise hatte ich hier einen Wunsch hinterlassen, welcher exakt nach einem Jahr im Mai 2020 in Erfüllung ging. 2020, Covid und das Bangen, wann Reisen besonders nach Japan wieder möglich werden. Damals luchste ich meiner Tochter einen dieser Pappmaschee-Daruma ab, die ich überhaupt nicht mag. Also malte ich ein Auge aus und schwor mir, dass ich diesen Daruma an Tokimunes Mausoleum opfern werde.


    Und genau das habe ich Ende Oktober 2022 gemacht! Ich schrieb mein Dank auf die Rückseite der Figur und ich dachte mir, ein zweiter Wunsch kann ja nicht schaden. Dann stellte ich den Daruma unten an das Gestell, an dem die EMA-Votivtäfelchen hängen. Ich hoffte, dass die Priester ihn mit den Täfelchen verbrennen werden. Auf dem Bild mit dem Tokimune Mausoleum kann man ganz unten links als roten Punkte am Ständer meinen Daruma stehen sehen.


    Jetzt kommt´s! Kaum erledigt, wir schlürfen den bestellten grünen Tee, kommt ein Japaner und pickt mit seinem Handy neben uns auf dem Gehweg vor dem Ständer rum. Was macht der da? Der Mann gibt sein tun auf und geht weiter. Ich stehe auf und sehe nach: da sitzt eine Gottesanbeterin auf dem Gehweg! Das muss ein Zeichen sein!!! ;) Die Gottesanbeterin steht für die Familie der Genji, welche die Kamakura-Militärregierung 1185 begründet haben. Wenn ich diese Fangschrecke nicht vom Gehweg hole, tritt der nächste Tourist ganz sicher drauf!


    Eine Prüfung!? Immerhin ist der Engakuji ein Zen-Tempel und der Regent Hojo Tokimune hat Zen genau hier praktiziert. Also rette ich die Gottesanbeterin und setze sie in einen nahen Busch.


    Und ihr könnt mich jetzt auslachen und der Meinung sein, ich spinne jetzt vollständig, aber genau 1 Jahr später im November 2023 geht Wunsch 2 in Erfüllung!


    Tja, bei meiner nächsten Reise muss ich dann wohl wieder hier hin... ^^

  • Dann geht es weiter über die Wanderwege zu Kuzuharaoka und zum Zeniarai Benzaiten Ugafuku-Schrein. Ich finde auch unseren "Geheimweg" von 2019 wieder, der uns damals zum Hintereingang des Schreins führte. Aber der Weg war dermaßen zugewuchert, dass er kaum noch erkennbar war. Zudem fürchte ich bei dem warmen Wetter nach meinem Schlangenerlebnis am Takao die hier wirklich vorkommende Mamushi, eine Art japanische Kreuzotter.


    Am Benzaiten Schrein haben wir, ganz im Gegensatz zu 2019, so wie es sich hier gehört Geld gewaschen. Aber bei mir war es nur eine 100 Yen-Münze, während die Japaner ganze Geldscheinbündel wuschen. Der Benzaiten waren wohl 100 Yen zu popelig. Die 100 Yen Münze habe ich heute noch und sie ist nicht mehr geworden...


    Natürlich zeigte ich meiner Frau auch den großen Buddha, aber wir hielten uns im Hintergrund, denn hier herrschte reger Touristenbetrieb. Schnell flüchteten wir zum Hasedera weiter, der 2019 vor unserer Nase die Tore schloss. Auch hier herrschte reger Andrang, zumal irgendein Künstler hier die Bucht von Kamakura malte, und sogar das Fernsehen ebenfalls dieses Ereignis offensichtlich wichtig fand.


    Einen letzten Termin galt es abzuhaken: das Grab eines der berühmtesten japanischen Schwertschmiede, Goro Nyudo Masamune, der in den 1340er Jahren starb. Der Hongakuji, wo Masamune begraben liegt ist einer der wenigen Tempel, die in Kamakura nicht dem Zen angehören, sondern der Nichiren-Sekte. Masamune war selbst ein Laienpriester des Nichiren-Buddhismus.


    Ufff! schon wieder bald 17:00 Uhr, Bürgersteig-hochklappalarm!!! Schnell wollen wir noch zu der Werkstatt von Yamamura Tsunahiro. Er ist Schwertschmied und sieht sich als die 24 (!) Generation des berühmten Masamune.

    Während mir so einige Fragen zu den Schwertern im Shop auf den Lippen brennen, fängt meine Frau mit der Frau des Meisters an über Scheren zu fachsimpeln und ich bin abgemeldet. Als Ergebnis wird meine Frau stolzer Besitzer einer kleinen Kräuterschere des Schmiedes. Dafür finde ich in einem winzigen Antiquariat daneben eine schöne Teeschale.

    Die Sonne geht langsam unter, und die Frau des Meisters verhängt Punkt 17:00 Uhr die Schaufenster der Werkstatt. Sayonara!

  • Schön dass es weitergeht! Und der Beitrag weckt schöne Erinnerunge an meinen Besuch in Kamakura im Frühling 2014. Ich glaube den Steinen hab ich was gespendet, damit die weitere Wanderung gut verläuft. =)

    Ja, das sind die Enmusubi Ishii am Kuzuharaoka Schrein. Dieser Schrein ist Hino Toshimoto gewidmet, einem Hofadligen, der am Ende der Kamakurazeit gegen die regierenden Hojo opponiert hat, und genau hier hingerichtet wurde.


    Bei den Steinen ist immer einer weiblich und der andere männlich. Das Seil verbindet sie zu Eheleuten und steht für langwährende Liebe und Eheglück. Hier kommen Menschen hin, die ihren Traumpartner suchen, und möglichst lange was von ihn haben wollen.


    Da Deine Reise gut, sicher und lange währen sollte, passt das schon... ;)


    Was die Liebessteine mit dem armen hier dahingeschiedenen Hino Toshimoto zu tun haben, hat sich mir nie erschlossen... :)


  • California Dreaming...


    ...Palmen, blauer Himmel, blauer Pazifik.


    Kamakura und ein Ausflug nach Enoshima zu verbinden ist kaum möglich. Für Enoshima ist ein Extra-Tag absolut angebracht. Bei bestem Wetter ist Beach-Feeling hier vorprogrammiert.


    Enoshima ist ein kleines Inselchen in der Bucht von Kamakura, welches mit einer langen Dammbrücke mit dem Festland verbunden ist. Dem Begründer des Hojo-Clans erschien hier in einer Höhle, welche man auch besuchen kann, ein Drache und beschied ihm, dass er hier das Land in Besitz nehmen und herrschen sollte. Seitdem sind drei Drachenschuppen das Wappen des Hojo-Clans.

    Enoshima war auch im historischen Japan ein beliebter Ausflugs- und Fuji-View-Spot.


    Hier sollte man einfach nur schlendern, die Seele baumeln lassen und die vielen Spezialitäten probieren, wie etwa plattgebügelter Kalmar oder leckeres Sardellen-Fischeis.


    Aber Vorsicht! Überall lauern fiese Kreaturen, die einem ratzfatz die Leckereien aus der Hand klauen! Es sind Milane, welche schon von Natur aus die einzigen Greifvögel sind, die auch auf Essenreste und Aas gehen. Hier haben sie sich auf unvorsichtige Touristen spezialisiert.


    Im Herbst 2022 hatte ich den Eindruck, dass Corona der Insel übel mitgespielt hatte. Viele der kleinen Fressbuden und Restaurants waren verschlossen und verrammelt, und dem aussehen nach auch schon seit geraumer Zeit, also seit Begin der Pandemie.


    An diesem Montag war Enoshima gut besucht, aber angenehm und entspannt.


    Eine lustige Anekdote: nicht weit von der Drachenhöhle, dort wo man unmittelbar auf einem Felsplateau ans Meer kann und den Einheimischen beim Angeln zusehen kann, gibt es ein öffentliches Klo. Ich wartete, Frau, Tochter und Freund pflegten ihre Pionierblasen.

    Tochter kommt, Freund kommt, und auf einmal: "wem gehört hier das Handy?" Meine Frau hält ein Smartphone hoch, das sie auf der Toilette gefunden hat. Sie bekommt ihre Aufmerksamkeit, auch wenn niemand Deutsch versteht. Ein junger Mann deutet auf den Mauersims vor der Toilette : "Please just place the Cell Phone here on the wall. Don´t worry about it." Sie blickt hilfesuchend zu uns. "Lege es einfach auf die Mauer." sagt der Freund meiner Tochter. "Diejenige, die es vermisst kommt sicherlich zurück und sieht es dann gleich."


    Japaner sind auch nur Menschen und nicht alle Musterschüler, aber dieses Vertrauen auf eine Grundehrlichkeit, dass niemand was nimmt, was ihm nicht gehört, ist hier noch tief verankert.


    Den Tag beschließen wir in einem leckeren Burger-Restaurant in einer 50er Jahre California-Stile Ausstattung wieder auf dem Festland in der nähe des Bahnhofes Enoshima.

  • Kleinere und größere Katastrophen und ein kleines Wunder.


    Etwa 4 Wochen nach der Rückkehr aus Japan lese ich Beiträge eines internationalen Antiquitäten-Forums. Ein Ami prahlt, dass er diverse Schwerter des Schmiedes Masamune, alles Nationalschätze, im Nationalmuseum Tokyo gerade eben gesehen hätte.

    Ich denke, von was redet der? Es waren einige hervorragende Klingen ausgestellt, aber dieser Schmied, und viele andere die der Schreiber erwähnte, waren nicht dabei.

    Aber warum sollte er dann so etwas behaupten? Also gehe ich sicherheitshalber auf die Homepage des Museums. Und tatsächlich: im Heiseikan gibt (bzw. gab) es eine Sonderausstellung berühmter Schwerter, alles Nationalschätze.


    Das Heiseikan ist ein separates Gebäude. An dem sind wir lustig vorbei marschiert. Meine Frau fragte noch, als wir auf dem Weg zum Honkan sind, dem Hauptgebäude, was ist dies, was ist jenes? Im Heiseikan erklärte ich, sei hauptsächlich frühe Archäologie, manchmal Modernes und ab und an Sonderausstellungen. Aber das Schaffen wir nicht, wir haben heute noch einiges vor.


    Auf dem Rückweg laufen wir natürlich wieder am Heiseikan vorbei. Mit diesem Fauxpas zieht mich meine Frau heute noch auf...


    Nach all den vielen Ausflügen ist dieser Dienstag der einzige "nur Tokyo-Tag" in Tokyo. Und er beginnt mit einer kleinen Katastrophe: es ist der einzige von 2 Tagen unseres Japantrips, der bedeckt und regnerisch ist. Katastrophe deshalb, weil ich für diesen Tag schon vor unserer Reise Tickets für den Skytree gekauft hatte. Das war recht unüberlegt, denn die Aussichtsplattformen verschwinden bei "ungünstigen" Wetter schnell im Grau der tiefliegenden Wolken. Aber wir haben Glück, noch hält sich die Wolkendecke hoch.

    Ein Besuch des Skytree ist sicherlich beeindruckend, aber hier habe ich die sind so zurückhaltenden Japaner mal ganz anders kennengelernt, laut und aufgeregt im Fahrstuhl, an den Fenstern um die besten Plätze drängelnd. Wir treten bald regelrecht die Flucht an.


    Das nächste Missgeschick geht ebenfalls auf meine Kappe. Zunehmend verzichte ich auf Google Maps, so auch auf dem Weg zum Eingangs erwähnten Nationalmuseum. In Ueno war ich schon einige Male und war der Meinung, ich finde den Weg. Wir kommen auf der falschen Seite des Bahnhofs heraus. Anstatt einfach umzudrehen bin ich der Meinung, den Bahnhof umgehen zu können. Wir laufen uns die Hacken ab!


    Am Abend passiert dann regelrecht ein kleines Wunder. Meine Frau will noch einmal gerne zur Kappabashi, und wie so oft müssen wir uns sputen, denn bald schließen die Läden wieder. Wir nehmen bewusst eine enge Straße ohne viel Fußgänger um schnell voranzukommen. In dieser winzigen Straße treffen wir unerwartet unsere Tochter, die ebenfalls noch zu einem Messerladen wollte, um ihren Freund was zu kaufen.


    Das ist mir in all den Jahren in Berlin noch nie passiert. Aber hier, in einer 14 Millionen Einwohner Metropole....

  • Ich fluche innerlich wie ein Rohrspatz. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich mit dreckigem Hosenboden, mistig und keimig in ein feines Hotel einchecken.

    Für mich erfüllt sich gerade ein Traum, nur das dieser sich ziemlich schnell zum Alptraum wandelt.


    Die Tokaido wird besonders in der Edo-Zeit (nach 1600) zu DER wichtigsten Überlandstraße Japans. Sie verbindet die alte Kaiserstadt Kyoto mit der Hauptstadt des Shogun in Edo. Zwar waren die Klassenschranken in jener Zeit fest zementiert, doch dem einfachen Volk war das Reisen zu Schreinen und Tempeln mit entsprechenden Genehmigungen durchaus erlaubt, und die Japaner nutzten die Möglichkeit mit Wonne. So entstand bald eine regelrechte Reiseindustrie. Wagen mit Rädern waren verboten, das Reiten im Galopp nur den Boten des Shogun erlaubt. So war vom Bauer bis zum Fürst (gut, der wurde in Sänften getragen) jeder zu Fuß unterwegs (ausgenommen Packpferde, und Mietpferde für "Schrittgeschwindigkeit"). Deshalb entstanden an den Überlandstraßen unzählige Gasthäuser und Poststationen. Die regionalen Besonderheiten wurden schon früher in Reiseführern abgebildet und beschrieben. So entstanden die "tausend Bilder", also die Manga auf Holzschnittbasis. Mit dem Gastgewerbe florierte der Handel, Glücksspiel, Prostitution, Kabuki und die Yakuza.


    In unzähligen Romanen wird die Tokaido erwähnt, und seit Kindheit an war es ein Traum von mir, ein Stück dieser historischen Straße zu gehen. Und nun stehe ich hier, laufe wie ein 90jähriger Cowboy breitbeinig und steif in ständiger Angst, einen Salto zu schlagen. Die uralten, unregelmäßigen Pflastersteine, in Japan Ishidatami genannt, sind mit einer dicken Schicht Algen bedeckt, die den alten Weg glatt wie Schmierseife macht. Und dabei geht es immer wieder ordentlich hoch, und wieder recht steil runter. Ich überlege, ob die alten Strohsandalen vor mehreren hundert Jahren mehr Gripp hatten, wie meine teuren Treckingschuhe. Ganz offensichtlich, denn das Stück der Tokaido galt nicht wegen ihrer schlechten Begehbarkeit als gefährlich. Wegen des schwierigen Terrains und des dunklen Walds war es ideal für Räuber und Banditen, um Reisende zu überfallen und sich vor den Behörden zu verstecken.

    Und noch eins: an der Pazifik-Seite war es der einzige begehbare Zugang nach Odawara, in die Musashi-Ebene und damit nach Edo. Letztendlich eignete sich eine Stelle in Hakone-Moto bestens für das Tokugawa-Shogunat, um hier ein strengen Checkpoint am Ashi-See einzurichten, den man kaum umgehen konnte.


    Der Ashi-See. Vielen wissen nicht, dass der vom Pazifik nur 17 Kilometer entfernte, aber schon etwa 730 Meter hoch liegende gut 7 Kilometer lange See die Caldera des Hakone-Vulkans ausfüllt. Wäre dieser Vulkan nicht vor 3000 Jahren explodiert und in sich zusammengebrochen, hätte der nahe Fuji vielleicht eine ernsthafte Konkurrenz bekommen. Der am östlichen Ufer stehende Hakone-Komagatake ist mit etwa 1.350 Metern das höchste Überbleibsel. Das nahe Höllental Owakudani, einer der beliebtesten Tourispots und mit der Seilbahn erreichbar, zeugt immer noch von der vulkanischen Aktivität des "Trümmerhaufens". Und so haben sich hier viele Onsen-Hotels angesiedelt, und eines davon möchte ich mit sauberen Klamotten erreichen.


    Der Tag hat wieder mal viel zu spät angefangen. Dann suchen wir verzweifelt in Shinjuku das Odakyu-Büro um den Hakone-Pass-Voucher einzulösen. Im Bahnhof Shinjuku finden gerade Umbau Arbeiten statt, und das Odakyu-Büro ist umgezogen.

    Beim Einlösen des Vouchers fragte man uns, ob wir die Romance-Car Variante nehmen wollen, hier aber noch zuzahlen müssten. Wir entschieden uns dagegen, tatsächlich hätten wir aber viel Zeit gespart und die 2 Tage Hakone wären dann auch nach Plan verlaufen.

    Von Hakone-Yumoto nahmen wir den Bus. Eigentlich wollte ich mehr der alten Tokaido laufen, doch die Zeit drückte und wir stiegen direkt beim Amazake-Teehaus aus.

    Dieses Teehaus, welches 2009 restauriert wurde und (ich habe nichts Gegenteiliges finden können) tatsächlich seit 350 Jahren hier steht, ist ein Relikt der alten Zeit. Es wird angeblich seit 13 Generationen von einer Familie geführt und man kann sich hier wie ein Reisender vor 200 Jahren fühlen.

    Danach folgte die Eingangs beschriebene Schlitterpartie nach Hakone-Moto.


    Völlig unerwartet ohne dreckigen Hosenboden angekommen verzetteln wir uns am falschen Anlege-Steg. Der richtige befindet sich 200 Meter weiter. Ich und Frau eilen hin, denn das Schiff steht schon bereit. Aber wo sind Tochter und Freund? Weg! Die Frau am Ticket-Schalter sieht uns fragend an. Ich muss telefonieren. "Wo seit Ihr? Das Schiff legt gleich ab!! Ahh....ohhh...aha...toll!" Sie stehen gerade irgendwo an um sich ein Eis zu kaufen, teile ich meiner Frau mit. Wir bedanken uns bei der Schalter-Dame und winken dem ablegenden Piratenschiff hinterher. Von weitem sehen wir unsere Tochter nebst Freund, jeder ein Eis in der Hand heranschlendern. In einer Stunde fährt das nächste (und vorletzte) Schiff, jetzt können wir uns ein Eis kaufen...


    Warum wieder unsere Eile? Es war ja erst etwa 14:30 Uhr und RICHTIG!!! 16:30 Uhr stellen die Seilbahnen ihren Betrieb ein. In einer Stunde legt das nächste Schiff ab, eine halbe Stunde Fahrt. Zwei mal umsteigen mit den Seilbahnen, Owakudani gucken und dann die Kabelbahn nach Gora? Vergiss es.


    Also testen wir einen örtlichen Bäcker. Mehr wollen wir nicht essen, denn wir freuen uns auf ein Mehr-Gänge-Menü in unserem Hotel in Gora.


    Die Fahrt auf dem spiegelglatten Ashi wird unvergesslich. Die herbstlaubfarbenden Hänge färben sich in der Abendsonne kupferrot. Der Fuji präsentiert sich wolkenfrei und majestätisch.


    Wir kommen in Togendai an, als es bereits dämmert. Wir entern eines Bus, der auch Gora anfährt. Der wird im Laufe der Fahrt so knüppeldicke voll, dass ich Sichtkontakt zu den Rest der Familie verliere und selbst auf einen Notsitzplatz mit 30 cm Höhe für Omis und Opis eingeklemmt dahinvegetiere. Bei jeder Haltestelle lässt der Busfahrer eine nächste "Fußballmannschaft" rein, hai dozo, hai dozo, hai dozo und etwas anderes, womit er die Fahrgäste auffordert, mehr zusammenzurücken. Ich habe weder Ahnung wie ich jemals aufstehen, noch aus diesem Bus herauskommen soll. Laut Google Maps müssten wir die nächste Haltestelle aussteigen. Das sieht der Rest der im Bus verschollenen Familie zum Glück genauso. Irgendwie gelingt uns das herausquetschen in das mittlerweile stockfinstere Irgendwo. Kein Fußweg, wir stehen irgendwo an einer Kurve einer Strecke, die sich serpentinenartig einen Hang heraufwindet. Der Bus hat einen Rattenschwanz an hinterherfahrenden Autos erzeugt. Wir müssen über die Straße. Jetzt! Nee warte, da kommt noch ein Bus! Äh, hatte der nicht eben die gleiche Nummer wie unserer? Jupp! Da saßen vielleicht 5 Hanseln drin! Na Klasse...


    Fortsetzung folgt...