Der letzte Kyoto-Beitrag am letzten Kyoto-Tag, und der Himmel wird Trauer tragen. Tatsächlich ist es der erste Tag (von zwei insgesamt) an dem wir keinen strahlend blauen Himmel hatten.
Unsere gebuchte Arashiyama-Tour schenkten wir Tochter plus Freund, denn meine Adduktoren-Reizung machte mir immer noch zu schaffen, so dass ich und Frau es heute "übersichtlicher" gestalten wollten.
15:00 Uhr wollten wir uns dann wieder im Hotel treffen, die Koffer schnappen und mit dem Shinkansen zurück nach Tokio düsen.
"Übersichtlich" bedeutete gerade einmal zwei Stationen zu einem weiteren wichtigen Touri-Hotspot, dem Nijo Palast.
Dieser "Palast" ist im Grunde eine Mischung aus Fürstenresidenz und Burg. Sie war Residenz der Tokugawa als Clan, und gleichzeitig der Tokugawa Shogune in der kaiserlichen Hauptstadt der Edo-Zeit. Tatsächlich ist es zugleich die einzige erhaltene Fürstenresidenz in ganz Kyoto. Sollte man nicht glauben, bei dem ganzen alten Zeugs was in Kyoto rum steht.
Das wirklich Interessante am Nijo ist, die "vertauschten Rollen" der Anlage im Vergleich zu anderen Burgen Japans. Ich schieb das schon im Hikone Beitrag: viele kennen als Burg nur den mehrstöckigen Hauptturm, den Tenshukaku. Dieser ist auch meist das Einzige, was von der ganzen Anlage noch erhalten ist (wenn es nicht eine Kopie aus Stahlbeton ist). Die ganzen Residenzgebäude fehlen. Aber genau hier spielte sich alles ab, leben, lieben, schlafen, feiern, arbeiten, Intrigen, Dramen, Politik.
Der Nijo besaß im Honmaru Bereich dereinst ebenfalls einen stattlich fünfstöckigen Turm. Dieser stammte zuerst von der Burg Koriyama, ein paar Jahre später von Hideyoshis Burg Fushimi. Das ist auch kein Problem, da alle alten jap. Gebäude an sich Holz-Fachwerkbauten sind, welche man easy auf- und abbauen kann. Im 18 Jahrhundert traf schließlich ein Blitz den Turm, worauf dieser ein hübsches Feuerchen abgab. Niemand hatte danach Lust, das Dingens wieder aufzubauen, auch weil es in der friedlichen Edo-Zeit eh zu nichts nutze war.
Die Residenz im Ninomaru-Bereich blieb erhalten, was das Ensemble prompt zum Unesco-Weltkulturerbe qualifiziert. Die Anlage machte insofern Geschichte, weil hier das letzte Shogunat 1601 installiert, und 1867 wieder demontiert wurde. In den 1860er Wild-West-Jahren war es auch das Hauptquartier einer pro-Tokugawa paramilitärischen Einheit, bestehend aus den Söhnen von Fürsten und hochrangigen Bakufu Samurai, da es hier eine Kaserne gab. Bekannt dagegen ist meist nur die Shinsengumi, welche dagegen nur aus Ronin bestand.
Erhalten sind auch alle Wirtschaftsgebäude, sogar aus der Entstehungszeit dieser Anlage. Meine Frau war bitter enttäuscht, dass diese nicht besichtigt werden können, bzw. hergerichtet wurden, wie sie dereinst innen ausgesehen haben könnten.
Etwas befremdlich fand ich das "Ausstellungsgebäude" in denen ein paar extrem wichtige Artefakte lieblos zwischen Klo und Getränkeautomaten in einer Vitrine "präsentiert" wurden. Sehenswert sind die Park- und Gartenanlagen der Burg. Der Ninomaru-Garten soll sogar auf den Tee-Meister Kobori Enshu zurück gehen. Apropos Tee-Meister: Enshu war gleichzeitig Fürst, und die Kobori Statthalter der Tokugawa in Kyoto. Dies zeigt, wie sich die Gesellschaft im frühen 17. Jahrhundert änderte. Waren die bedeutendsten Tee-Meister ein paar Jahrzehnte vorher noch Bürgerliche, wurde die Teezeremonie für die militärische Elite nun ausschließlich von hohen Vertretern der eigenen Kaste angeführt. Man blieb unter sich und die gesellschaftlichen Schranken wurden wieder eisern.
Ganz lustig sind die Nachtigallen-der Flure der Residenz. Metallklammern in der Dielenkonstruktion geben ein liebliches zwitschern ab, wenn man darüber läuft. Das soll angeblich verhindern, dass arglistige Mordbuben vordringen können, um irgendwen Wichtigen zu meucheln. Wenn sich jedoch wie bei uns noch -zig Schulklassen und andere Touristen durch die Gänge schieben, gerät das ganze zum infernalischen Gegacker.