Zu spät für Work and Travel?

  • Hallo zusammen,

    ich bin Jahrgang 85 - sicher kein alter Hase, aber eben auch kein junger Hüpfer mehr. Ich war in meiner Jugend viel mit dem Rucksack unterwegs. Gerade in Südamerika konnte ich tolle Erfahrungen machen, die ich im Leben nicht mehr missen möchte. Irgendwann wurde ich aber sesshaft und habe geheiratet. Im Nachhinein die dümmste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Liegt aber sicher auch zu einem guten Stück an dem zugehörigen Mann. Er hat mich eingeengt und zur Hausfrau gemacht und ich habe es anfangs nicht einmal bemerkt. Ich habe mein ganzes Leben für ihn umgestellt und meine große Liebe, das Reisen und neue Kulturen, komplett für ihn aufgegeben. Nun haben wir uns vor einem dreiviertel Jahr getrennt und seitdem spukt mir immer wieder durch den Kopf, dass ich gern ein Jahr Work and Travel in Australien machen würde. Nun bin ich keine frisch gebackene Abiturientin mehr. Ich habe mehr Lebenserfahrung, aber bin wohl weniger körperlich belastbar und flexibel. Meint ihr, ich bin zu alt dafür? Und noch ein "erwachsenes" Problem: In dieses Jahr würde dann wohl auch die Scheidung fallen. Darf ich denn dann überhaupt das Land für so lange Zeit verlassen? Oder muss ich dann auf Abruf wieder da sein? Ist hier schon einmal jemandem so etwas Unverschiebbares in eine lange Reise gefallen? Ich bin deutlich verkopfter als früher, stelle ich bei den Fragen fest. Damals hätte ich einfach meinen Rucksack geschnappt und wäre losgestiefelt.

  • Ich erzähle dir einfach mal die Geschichte meiner Freundin M., die jetzt Anfang 40 ist. M. hat Grips, Bildung und Stil. Sie war befristet beim DAAD beschäftigt und lebte in Warschau. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses war auch ihre langjährige Beziehung zu einem Mann hier in Deutschland beendet, es hatte wohl einfach nicht mehr funktioniert, beide hatten sich auseinandergelebt. Sie hat sich einen langjährigen Traum erfüllt und zog im Sommer 2017 mit Mitte 30 los, um den Pacific Crest Trail zu laufen, was etwa 4 Monate dauert. Das Ganze sollte von einer Abfindung und dem über eine ganze Zeit Ersparten gehen.


    Und was soll ich sagen? Seither war sie im Grunde nur noch zu Besuch in Deutschland: Nach dem PCT überraschte sie mit dem Plan, in Neuseeland zu wandern, verbrachte dann Zeit in Australien, war wieder in den USA. Sie hat irgendwann noch vor der Pandemie ihren Partner kennengelernt, der an der Ostküste der USA lebt. Nachdem sie aus China, wo sie zwischenzeitlich lebte, sehr unvermittelt mit Beginn der Pandemie kurzzeitig nach Deutschland kam, ging es weiter. Man weiß nie so recht, wo M. gerade langzeitwandern ist: Auf dem Kilimandscharo, in Südamerika oder auf den Kanaren, mal mit und mal ohne ihren Partner. Irgendwann schickte sie Grüße von einem Treffen mit ihrer Mutter "auf halbem Weg" zwischen Australien und Deutschland aus Indien. Mittlerweile arbeitet sie an einer Uni in Neuseeland, macht ihren Job remote teilweise auch von Fahrradtouren in Richtung Nordkap oder von der Heimat ihres Freundes aus oder auch vor Ort in Neuseeland.


    Für sie ist die Welt verdammt klein geworden, wenn sie um die halbe Welt jettet, um ihren Partner zu sehen und dann nachts um 2 mit der Arbeit fertig ist, weil sie ihr Seminar für ihre Studis in Neuseeland erst dann beendet. Es war atemberaubend, diese Entwicklung mitverfolgen zu können.


    Du scheinst in einer ähnlichen Situation zu sein: Ähnliches Alter, offenbar gebildet (weil du wohl mal Abiturientin warst, sieht man auch schon an deinem Schreibstil) und somit mit guten Voraussetzungen, auch Jobs abseits von harter Arbeit auf dem Feld zu finden, du bist reiseerfahren, du hast deine Beziehung beendet und scheinst auch beruflich derzeit keine Verpflichtungen zu haben.


    Ob es rechtliche Grenzen für Work and Travel gibt? Keine Ahnung. Aber wenn du einen Beruf hast, in dem du remote arbeiten kannst, wäre auch das eine Alternative.


    Der Scheidungstermin? Frage doch nicht hier, sondern beim Familiengericht oder bei einem Anwalt nach, wie es sich damit verhält und wie du es lösen kannst. Dann hast du Klarheit und weißt, woran du dich zu halten hast. Wenn es dein großer Traum ist zu reisen, ist doch das Schlimmste, was dir passieren kann, dass du zu deinem Scheidungstermin zurückfliegen musst. Dann lässt du dich scheiden, besuchst ein paar Freunde und deine Familie und fliegst wieder zurück.


    Ich wünsche dir so sehr, dass du deinen Traum wahr werden lässt, dass du dein Glück findest und vielleicht in ein paar Jahren hier auch eine tolle Geschichte zu erzählen hast aus Australien, Spanien, Kanada oder um wertvolle Erfahrungen abroad reicher wieder aus good old Germany.


    Auch M. hätte, als sie 2017 mit viel Lampenfieber im Gepäck in den Flieger in die USA stieg, sich nie träumen lassen, dass sie solch eine Weltenbummlerin wird, die seither im Grunde nie wieder in Deutschland wirklich gelebt hat.


    Also los, go for it!

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Grundsätzlich würde ich auch sagen: Wenn du sowas machen willst, dann mach es!


    Für ein klassisches Working Holiday Visum für Australien könntest allerdings tatsächlich schon zu alt sein. Das geht meines Wissens nur für unter 30jährige. Aber das müsstest du selbst mal checken auf den Seiten der australischen Behörden. Evtl kommt für dich ja auch ein anderes Visum in Betracht. Oder ein anderes Land.


    Geh es einfach mal an. Die erforderliche Recherche wäre ja schon der erste Schritt, deine Pläne umzusetzen.

  • Da kann ich meinen VorrednerInnen nur zustimmen: Tu es!

    Ich fühle mich mit meinen 46 Jahren auf dem Buckel ehrlich gesagt fast schon etwas schlecht wenn du mit 37/38 befürchtest, zu alt zum Reisen zu sein :D


    Es ist sicherlich jetzt nicht mehr das Gleiche wie die große Reise nach dem Abitur oder in den Semesterferien. In den Hostels wirst du vielen jüngeren Leuten begegnen und vielleicht fehlt auch für den ein oder anderen Ausflug tatsächlich mal die Energie. Aber du kannst auch das Positive darin sehen: Du bist jetzt viel erfahrener und weißt, was du sehen und erleben willst. Du hast vielleicht auch finanziell etwas bessere Möglichkeiten, kannst damit vielleicht die schöneren Trips buchen oder auch das ein oder andere Mal häufiger schön essen gehen. Ich kann mir vorstellen, dass das insgesamt vielleicht in deinem jetzigen Alter sogar eine noch schönere Erfahrung sein kann.


    Aber das musst du selbst herausfinden. Ich kann dir nur sagen es lohnt sich! Ich reise trotz Frau und Kindern noch immer gerne ab und zu allein (allerdings maximal für zwei Wochen) und es ist jedes Mal wieder jeden Cent wert! Vorher bin ich ehrlicherweise immer etwas aufgeregt aber im Nachhinein war ich über jede einzelne Reise froh und möchte jede einzelne davon nicht missen!


    Thema Scheidung gab es bei meinem besten Freund tatsächlich auch vor einigen Jahren. Er hat damals eine Onlinescheidung gemacht, was ich ziemlich absurd finde :D War im Endeffekt auch nur eine ganz normale Scheidung vor einem ganz normalen Gericht. Er hatte leider viel Ärger mit Unterhaltszahlungen etc. Ich hoffe, das bleibt dir erspart! Aber auch da kann ich nur sagen: Bevor du dir ewig den Kopf darüber zerbrichst, wann der richtige Zeitpunkt ist, die Scheidung anzugehen, mach es lieber einfach. Das was ich von dir lese klingt so, als sei die Entscheidung ohnehin schon gefallen. Dann lieber direkt angehen und dann hast du es auch hoffentlich schnell hinter Dir.


    Vielleicht hast du ja einen guten Anwalt im Freundes- und/oder Bekanntenkreis? Das wäre für mich glaube ich dann die erste Wahl.


    LG


    Admin: Werbung entfernt!