Tigray – alles anders

  • Nach meiner 4. und bislang letzten Äthiopienreise hatte ich weitere niederschreibenswerte Berichte darüber ausgeschlossen. Die Strapazen und Anforderungen wurden einfach zu hoch. Stattdessen beschränke ich mich auf Familienbesuche.

    Vor einigen Monaten dann gab es eine Anfrage an mich, mit der ich nicht mehr gerechnet hatte. Wer sich vielleicht noch erinnert, wie ich überhaupt auf Äthiopien als Reiseland gekommen bin… Mein Freund Mehrtab klingelte bei mir an und wollte wissen, ob ich ihn nach Afrika begleite, er möchte nach Jahren erstmals seine Familie und Verwandten in Äthiopien besuchen. Er würde sich freuen, wenn ich ihn begleiten würde, denn er wolle mich unbedingt seiner Familie vorstellen und mir Tigray zeigen.

    Ein Angebot, welches verlockend war. Eine Reise mit Begleitung, das ist ideal. Es ist jemand da, falls ich auf dem An- und Abreiseweg motorische Probleme bekomme und im Land selbst ja ohnehin. Dies dann kombiniert mit einem Familienbesuch von meiner Seite aus. Besser geht es ja bald nicht. Da konnte ich einfach nicht nein sagen. Auch wenn ich mich selbst als so gar nicht reisetauglich einschätzte.

    Es vergingen danach noch einige Wochen, bis wir uns auf einen konkreten Zeitraum einigten. Mehrtab wollte sechs Wochen bleiben. Eine lange Zeit, die ich durchzuhalten hätte. Aber ich wollte auch nicht, dass er sich nach mir richtet. Schließlich begleite ich ihn und nicht er mich. Andererseits ist bei einem sechswöchigen Aufenthalt gut ein Besuch bei meiner 2. Familie planbar. Da ist genug Zeit für alles, man muss nichts quetschen und ich gehe auch nicht sechs Wochen lang seiner Familie auf die Nerven.

    Schlussendlich wurde es fest gemacht. Anfang Januar bis Mitte Feb. 24. Wir teilten uns die Arbeit und die Kosten. Ich buchte die Flüge für An- und Abreise. Mehrtab kümmerte sich um das Organisatorische im Land. Anders als sonst bei meinen bisherigen Äthiopienreisen gibt es auch keinen Reiseplan, allenfalls einen groben Rahmen. Bis auf die gebuchten Langstreckenflüge. Das läuft alles spontan. Sein Reisebudget ist außerdem begrenzt. Es wird somit eine Reise auf Basisniveau. Kein Jeep, kein Fahrer. In einem Land, dessen Bürgerkrieg erst vor einem Jahr zu Ende ging.

  • Anreise

    Am 4. Januar beginnt das Abenteuer. Mit dem Zug geht es in Richtung FFM Hbf., wo ich mit herzlichen Umarmungen Mehrtab und seine Freundin Senayt wiedersehe. Ursprünglich hatte ich vor, nach Bielefeld zu fahren, bei ihnen zu übernachten und am nächsten Tag gemeinsam von Bielefeld aus zum Flughafen aufzubrechen. Mehrtab wollte aber lieber die sichere Variante und schon am Vortag in FFM sein, um am Tage des Abflugs jeglichen unerwarteten Reisehindernissen bis FFM seitens der DB aus dem Wege zu gehen. Dafür hatte er in Bahnhofsnähe Zimmer in einem Hotel gebucht.

    Für diese Reise hatte ich nur die große Reisetasche, die nun die fünfte Afrikareise antrat, plus Handgepäck. Die wurde mir nach oben gebracht. Sie hat schon diverse Blessuren, aber eine Tour würde sie hoffentlich noch überstehen. Dafür hatte Mehrtab drei Koffer plus Handgepäck. Er hatte vorher gefragt, wie viele Gepäckstücke ich habe und sich einen Koffer mehr genehmigt. Alles voller Textilien für die Familie in Äthiopien.

    Dann gingen wir noch einmal raus, eine Runde drehen und um noch einen Happen zu essen. Ich war erst zweimal in FFM, aber nie über das Bahnhofsgebäude hinaus. Beide Male jeweils auf Durch- oder Weiterreise. Einmal im März 89 und dann im Feb. 21, nach meiner dritten Äthiopienreise, da durfte ich mir bei Minusgraden den Hintern abfrieren, als ich in der Frühe 6.00/7.00 Uhr auf meinen Anschlusszug wartete. Wegen Corona war alles geschlossen, wo ich hätte hin flüchten können Die Stadt kenne ich also überhaupt nicht.

    Den Teil, den ich jetzt kennenlernte, der hob mein Ansehen über die Metropole nicht wirklich. Das Umfeld FFM Hbf. ist Drogenumschlagplatz sowie Obdachlosen- und Bettlergegend. Mehrtab fragte, ob ich mein Handy und Geldbörse gut gesichert habe, am besten nach innen, maximal Hosentaschen seitlich. Wir waren keine zwei Minuten unterwegs, da kam mir ein „Hey, wie geht’s, alles klar man?“ zugeflogen, was ich unwillkürlich als „Hey, brauchste was?“ übersetzte. Kurze Nachfrage bei Mehrtab, jo richtig übersetzt. Zumeist aber wurde uns das „Brauchste was?“ zugeraunt. Einige lagen zugedröhnt oder vollgesoffen an den Hauswänden oder in irgendwelchen Winkeln, andere pflegten ganz öffentlich ihre Crackpfeifen. Kein anheimelnder Ort diese Gegend, dann auch noch im Dunkeln. Wir sind nach dem Abendessen auch gleich zurück ins Hotel und blieben oben.

    Frühstück gab´s am nächsten Morgen im Bahnhofsgebäude bei einem dieser Anbieter, wo man sich auch rein- und hinsetzen konnte. Die Koffer und was sonst nicht mitsollte, hatten wir in die Schließfächer, bzw. Gepäckaufbewahrung gegeben, weil wir noch in die Stadt zum Shoppen wollten. Also eher Senayt und Mehrtab als meine Wenigkeit. Aber dafür sehe ich was von der Stadt. Wir saßen noch am Frühstück, vom selbigen lag eine leere Papiertüte vor mir, als mir eine Idee kam. Ich fragte Mehrtab, „Kennst du das hier schon?“ blies möglichst unauffällig die Tüte auf, drückte sie oben mit der Linken zu, holte mit der Rechten aus, ließ es knallen und knüllte sie dabei auch sofort unterhalb Tischplatte zusammen. Es rummste ordentlich, durch die Größe des Raumes unterstützt. Alle guckten und suchten, aber niemand konnte uns als Übeltäter ausmachen, ich sah mich genauso suchend um.

    Später dackelte ich mit den beiden durch ein innerstädtisches Einkaufsviertel. Mehrtab brauchte noch einige Kleinigkeiten und Mitbringsel. Ich interessierte mich mehr für die Gegend, hatte aber nicht wirklich eine Vorstellung, wo ich gerade war. Nicht allzu weit weg vom Bahnhof jedenfalls, zwei Stationen mit der U-Bahn. Das Bankenviertel war zu sehen, an Konstabler Wache kann ich mich erinnern und die Einkaufsmeile hatte eine doppelreihige Baumbepflanzung. Im Sommer muss es sich dort gemütlich sitzen lassen.

    Gegen Abend holten wir unsere Koffer und machten uns auf Richtung Regio-Bahnhof zum Flughafen. Die Einkäufe wurden auf die Koffer verteilt und deren Gewicht mit Gepäckwaage untereinander ausgeglichen. Ich hatte bereits zu Hause gewogen und lag bei rund 21 kg, mit noch etwas Rauminhalt für Dinge wie Jacke, die ich ab Flughafen erst einmal nicht mehr brauchte. Ich bekam noch eine Flasche Black Label verpasst, die gut verstaut meine Tasche auf 23,2 kg lt. Gepäckwaage brachte. Mehrtab lag mit seinen Koffern etwas darüber. Senayt verabschiedete uns und wir machten uns auf die Suche zum richtigen Check-In. Am Schalter musste Mehrtab dann seinen Charme spielen lassen und die Schalterdame etwas umgarnen, zwei der Koffer waren ihr etwas zu weit über dem Normgewicht von 23kg. Die Umgarnung gelang, er kann´s halt. Die Koffer und die Reisetasche waren wir los.

    Dabei musste ich mir zu Hause überlegen, wie ich die Risikoverteilung mache. Meine Medis hatte ich sicherheitshalber auf das doppelte also 12 Wochen ausgelegt, plus das was aus der jeweiligen Packung noch überblieb. Dazu die normale Reiseapotheke. Das alles hatte ich wasserdicht in 4 Schnappdosen für Lebensmittel und einer Kulturtasche so verteilt, dass das Verlustrisiko möglichst gering ist. Es konnte nicht alles davon ins Handgepäck, ein Teil musste in die Tasche. Kam die abhanden, komme ich immerhin auf etwa 4 Wochen für die wichtigsten Pillen. Dann muss die Tasche wieder da sein oder ich die Reise abbrechen. Denn nichts Schlimmeres könnte mir in ET passieren, außer in die Luft gesprengt, als dass ich ohne Medikamente dastehe. In einem Land mit nicht einmal 50 Neurologen (Stand: 2021) für 100 Mio. Menschen. Zehn Jahre davor waren es sogar weniger als 10.

    Der Check-In hielt noch ein Special bereit. Die Maschine ist überbucht. Es wollen zwei Passagiere mehr mit, als Plätze vorhanden sind. Wie so etwas im digital vernetzten Buchungssystem überhaupt passieren kann, ich habe keine Ahnung. Jedenfalls müssen zwei Passagiere gefunden werden, die für 600 Euro Cash inclusive einer Übernachtung im Hotel sich überreden lassen, einen Tag später zu fliegen. Viel Erfolg, denn das orthodoxe Weihnachtsfest steht bevor. Da wollen doch alle bei ihren Angehörigen in ET sein.

    Später fiel mir auf, dass Mehrtab einen kleinen Reisetrolley als Handgepäck hatte und noch einen Rucksack mit etwa 5 kg, auch als Handgepäck. Ob er damit durchkommt? Ich sage es ihm besser. Er fragt nach und ja, das ist ein Stück Handgepäck zu viel. Für das zweite müsste er extra zahlen. Und er hat diverse Düfte in flüssiger Form dabei über die erlaubten 100ml. Dafür handelt er dann prompt. Der Rucksackinhalt wird aufgeteilt auf Trolley und meinem Rucksack, die Flüssigkeiten verteilt/verschenkt er recht zügig innerhalb der Diaspora. So, jetzt ist mein Rucksack aber voll und schwer.

    Ethiopia, wir kommen!

    Der Rest ist warten, dass es losgeht mit dem Boarding. Das beginnt dann recht früh, deutlich vor den üblichen 30 Minuten. Die Zeit bis zum Starttermin reicht dennoch nicht. Ursachen sind einmal, die Maschine ist proppevoll ausgebucht und dann die Deppen, die es nicht schaffen, sich auf den richtigen Sitzplatz zu setzen. Um uns herum im Sichtbereich mussten mehrere Passagiere wieder aufstehen, weil andere diesen Platz beanspruchten. So beginnt das große Passagier-Tetris natürlich mit dem bereits verstauten Handgepäck. Nervig. Die Folge daraus, eine Stunde Verspätung. Aber auch das geht vorüber und wir heben endlich ab. Nach der üblichen quälend langen Nacht landen wir mit nur noch 30 Minuten Verspätung. Unterwegs flog der Pilot Vollgas. Das ist somit das erste Mal, dass ich mit Ethiopian Airlines eine Verspätung habe.

    Die Einreiseabwicklung in Addis läuft heute zügig, nach 30 Minuten sind wir durch und können mit unserem Gepäck zum Parkplatz. Helen, eine Freundin von ihm aus früheren Zeiten hat einen Fahrer mit Auto organisiert, der uns abholt. Es ist eben jene Helen, der ich auf meiner zweiten Reise nach ET im ToMoKa Cafe den Laptop von Mehrtab übergeben hatte. Wir kennen uns also bereits. Jetzt dauert es eine ganze Weile, bis das Fahrzeug uns erreicht. Der Fahrer ist zwar schon hier, aber irgendwo auf dem Parkplatz unterwegs und findet keine Parklücke. Wir finden uns also nicht. Erst nach etwa 30 Minuten suchen und telefonieren treffen wir aufeinander. Wir werden von Helen und ihrem Fahrer begrüßt, das Gepäck wird in den Kleinwagen verfrachtet und dann geht’s auf in Richtung Helens Wohnung, wo wir bis morgen bleiben.

  • Hmmm, dass Flüge überbucht werden, das ist doch normal! Irgendwer erscheint immer nicht zum Flug wegen verpassten Zubringers, Dummheit oder Krankheit, Tod und Teufel.

    Und ich habe es bei ET übrigens auch erlebt, dass Sitzplätze offenbar doppelt vergeben wurden. Zumindest stand jemand vor meinem Platz und behauptete, es sei seiner und die zugehörige Gruppenleiterin zeterte, dass sie für sich und ihre Schäfchen ganze drei Reihen "geblockt" habe. In meinem Fall war es kein Problem, da der Flug alles andere als ausgebucht war.

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • 6./7. Jan. - Addis

    Helen wohnt in einem Stadtbezirk am Rande der Metropole. Die Fahrt dahin dauert somit etwas länger. Wir halten vor einem 7stöckigen Mietshaus. Ihre Wohnung ist in der 5. und der Fahrstuhl scheint seit Jahren außer Betrieb. Sie ist sehr klein. Küche, Bad, Salon und Schlafecke ergeben vielleicht 20 qm. Helen stellt uns das Bett zur Verfügung und nächtigt selbst auf dem Sofa. Freie Stellfläche gibt es in der Wohnung kaum. 4 große Gepäckstücke stehen somit eher im Wege herum. Der Strom ist weg und Wasser liegt auch gerade nicht an. Waschen ist somit nicht, also nehme ich erst einmal eine Mütze Schlaf. Als ich wieder aufwache, sind die beiden nicht da, Wasser und Strom auch nicht. Für solche Fälle hat Helen mehrere Plastikeimer gefüllt mit Wasser im Bad zu stehen. Zum Zähne putzen und für eine kleine Notwäsche am winzigen Waschbecken geht das erst einmal.

    Als beide zurückkommen, kommt auch das Wasser wieder. Helen fragt, ob ich duschen will. Ich sage nein, weil ich das jetzt auch am Abend machen kann. Die paar Stunden geht das auch so. Ein Fehler, wie sich herausstellt. Denn hier steht das Wasser nicht zeitweise nicht zur Verfügung, sondern es ist so, dass es gelegentlich mal da ist. Das heißt, wenn es da ist, dann muss man es sofort nutzen. Abends ist es natürlich wieder nicht da und ich kann mich immer noch nicht waschen. Am Nachmittag gehen wir raus, etwas essen und auf einen Buna. Ich bekomme eine SIM von ethiotelecom und kann damit jetzt telefonieren und über Mobilfunk ins Netz. Über Guthabenkarten – also eher Zettel - die es fast überall zu kaufen gibt, kann man mit Zahleneingaben, Sternchen und Raute 50, 100 oder auch mehr Birr auf die eigene Nummer laden und loslegen und es ist gar nicht mal teuer.

    Freund Mehrtab hat sich Zugriff auf ein Konto mit Karte bei einer hiesigen Bank geben lassen und es mit einem gewissen Betrag von uns beiden als Reisekasse in Birr aufgefüllt. Damit bekommen wir größere Geldbeträge auf einmal, als nur die 4000 Birr, die es für Auslandskarten am ATM maximal am Tag gibt. Er drückt mir ein Bündel Birr in die Hand, 10.000 Birr in 100er Scheinen. Damit komme ich einige Tage hin.

    Eine meiner vier Schnappdosen habe ich bei Helen als eine Art Medikamenten-Notfall-Box zusammengestellt. Die enthält alle unverzichtbaren Pillen für rund zwei Wochen, genug um von Addis wieder nach Hause zu kommen. Für den Fall, dass wir unterwegs im Land ausgeraubt oder bestohlen werden, oder meine Tabletten aus einem sonstigen Grunde verloren gehen. Diese Box deponiere ich bei Helen, bis wir von unserer Reise zurück in Addis sind.

    Später holt uns der Fahrer erneut ab. Helen möchte ich ihre Kirche, die gefühlt leider am anderen Ende der Stadt liegt. Wir brauchen eine längere Zeit, um dort hinzukommen. Während Helen in der Kirche ist, setzen wir uns in ein Gartenlokal und kippen ein paar Bierchen. Bis sie fertig ist und zu uns ist Lokal kommt. Wir brechen auf und schlendern durch die Straßen. Plötzlich werde ich von rechts hinten angesprochen und jemand fasst mir ans Handgelenk. Ein Bettler so scheints möchte gern ein paar Birr von mir. Das soll aber nur so erscheinen. Denn der eigentliche Grund von ihm ist, mich abzulenken, damit ein zweiter, der sich unbemerkt von hinten links nähert, versuchen kann mir mein Telefon aus der linken Hosentasche zu mopsen. Allerdings habe die nicht genug Übung oder das Telefon steckt zu verkeilt in der Hosentasche. Jedenfalls bemerke ich sofort, dass da jemand an meinem Smartphone zuppelt und belle laut nach hinten links „FINGER WEG!!“. Die beiden verschwinden augenblicklich. Dann frage ich Mehrtab, wie Finger weg auf Amharisch genannt würde. Ich könne „Idj Senanza“ rufen. Das wäre dann der erste Versuch eines Taschendiebstahls den ich hier erlebe. Der Fahrer ist da und bringt uns zur Wohnung.

    Abends kommt dann auch der Strom zurück für einige Zeit. Schlafen geht es recht zeitig. Am nächsten Tag wollen wir früh zum Flughafen fahren und nach Shire fliegen. Mehrtab hat die Tickets dafür gekauft. Also heißt es zeitig aufstehen, das Gepäck runterbringen alles in den Kleinwagen und ab zum Flughafen. Wir verabschieden uns von Helen und dem Fahrer und auf zum Check-In. An der Schlange zum Einchecken merken wir, dass es mit der Zeit knapp wird. Ein Flughafenmitarbeiter ruft in die Schlange, „Shire 8.30“. Wir dürfen weiter vor in der Schlange, aber es reicht trotzdem nicht. Wir verpassen den Flug. Mehrtab muss umbuchen auf den nächsten Tag. Und er muss Helen informieren, die uns wieder abholen lässt und uns für eine weitere Nacht bei sich einquartiert. Alles wieder die Treppe hoch und rein in kleine Wohnung.

    Das Gebäude ist in einem baulich schlechten Zustand. Nicht dass es hinuntergewirtschaftet wurde oder verloddert wäre, es war noch nie in einem guten Zustand und hätte in D nieeemals eine Bauabnahme bekommen. Der ganze Bau wirkt wie schnell zusammengeschustert. Nicht ein einziges Gewerk, an dem ich !als Laie! keinen Pfusch am Bau feststellen konnte. Die Treppenstufen z.B. unterschiedlich hoch und tief um mehrere cm.

    Nachmittags ziehen wir noch mal los. Der Fahrer holt uns wieder ab und kutschiert uns durch die halbe Stadt zu einem Lokal. Dort bestellen wir Kitfo, rohes Fleisch mit Injera und Ojo aus Ensete (riecht wie alte Schuhsohle und schmeckt wie Käsefüße). Die gebackene Variante ist deutlich besser.

    Am nächsten Tag den 8. Januar versuchen wir es erneut mit dem Flug nach Shire. Wir verabschieden uns ein weiteres Mal, durchlaufen den Check-In und die Sicherheitskontrolle und sind dann im Abflugbereich, wo wir noch reichlich Zeit bis zum Starttermin haben. Mehrtab ist sichtbar aufgeregt und quirlig und quatscht mit seinen Landsleuten in der Wartehalle. Wird er doch heute nach 9 Jahren das erste Mal seine Eltern, seine Geschwister u.a. Verwandte wiedersehen. Im Jahr 2015 kam er als 18jähriger Flüchtling mit der großen Welle über die klassische Route Wüste Sahara, Überquerung Mittelmeer in Europa an und landete in Deutschland.

    Dann ist es soweit, das Gate wird geöffnet und wir dürfen zum Flieger. Die kleine Dash 8Q-400 ist voll besetzt. Auf nach Shire.

    Preisfrage: in welcher Zeile auf dem Monitor wird unser Flug angezeigt? Welche Flugnummer haben wir?

  • Eine meiner vier Schnappdosen habe ich bei Helen als eine Art Medikamenten-Notfall-Box zusammengestellt. Die enthält alle unverzichtbaren Pillen für rund zwei Wochen, genug um von Addis wieder nach Hause zu kommen. Für den Fall, dass wir unterwegs im Land ausgeraubt oder bestohlen werden, oder meine Tabletten aus einem sonstigen Grunde verloren gehen. Diese Box deponiere ich bei Helen, bis wir von unserer Reise zurück in Addis sind.

    Das ist eine Welt, in der ich (zum Glück) keine Erfahrungen habe. Du passt besser auf deine Medis auf als ich auf meinen Pass und mein Handy auf Reisen. Aber natürlich: Es geht um dein Leben und nicht um ein Mittel gegen Kopfschmerzen oder Reisedurchfall!

    Plötzlich werde ich von rechts hinten angesprochen und jemand fasst mir ans Handgelenk. Ein Bettler so scheints möchte gern ein paar Birr von mir. Das soll aber nur so erscheinen. Denn der eigentliche Grund von ihm ist, mich abzulenken, damit ein zweiter, der sich unbemerkt von hinten links nähert, versuchen kann mir mein Telefon aus der linken Hosentasche zu mopsen.

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich in solchen Situationen immer geistesgegenwärtig wäre...

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Wie toll, dass Du doch noch einmal in Deiner 2. Heimat bist!

    Deine Vorbereitung ist ja vorbildlich, werden bei der Einreise eigentlich verschreibungspflichtige Medikamente kontrolliert bzw. braucht es ein in englischer Sprache ausgestelltes ärztliches Attest wie z.B. in den Emiraten oder Australien?

    Bin schon gespannt, wie es weitergeht!

  • vielen Dank, ein sehr spannender Reisebericht.

    Ich lese auf jeden Fall mit, es ist mal was ganz anderes und bietet Einblicke in ein Land, in das ich sicherlich nie kommen will oder werde.

    Dazu sehr unterhaltsam geschrieben.

    Wie wichtig die vorausschauende Planung von Medikamentenmitnahme ist, weiß ich, seit sich unser Rückflug von Vietnam damals -beim Vulkanausbruch in Island- um 2 Wochen verschoben hat. Seitdem haben wir auch immer für einige Zeit Reserve von verschreibungspflichtigen Medikamenten mit dabei.

    Freue mich auf die Fortsetzung des Abenteuers Äthiopien.

  • 8. bis 15. Jan. - Shiraro

    Wir brauchen nicht ganz zwei Stunden bis dahin und kurz vor Ankunft in Shire kann ich noch das Simien Gebirge von oben sehen. Der Flugplatz in Shire ist ein kleiner Regionalflugplatz, eher ein Flugfeld mit einem Abfertigungsgebäude in einer Baracke.

    Dort warten wir auf unser Gepäck, welches nicht da ist. Na das geht ja gut los. Ich glaube, hier werde ich Spaß haben. Die wenigsten Passagiere an Bord bekommen ihr Gepäck. Das der anderen wurde nicht vergessen, sondern ausdrücklich nicht mitgenommen, weil aufgrund des orthodoxen Weihnachtsfestes die Leute in den letzten Tagen so viel Gepäck dabeihatten, dass sich ein Rückstau bildete, da in die Flugzeuge einfach nicht mehr reinpasste. Dieser Rückstau wird jetzt abgebaut und nachfolgendes Gepäck wird erst danach befördert. Mehrtab kommt mit dieser Info aus der Baracke zurück. Unsere Koffer kommen in ein paar Stunden oder morgen. Oder übermorgen oder …. füge ich gedanklich dazu. Meine Medizin in der Kulturtasche und eine Schnappdose habe ich im Handgepäck, aber das war es dann auch schon. Waschtasche, Wechselklamotten, alles in der Reisetasche. Es bleiben nur die Klamotten, die ich gerade anhabe. Mehrtab hat eine Telefonnummer bekommen. Dort kann er nachfragen, ob unsere Koffer angekommen sind.

    Also erst mal Travel light. Wir gehen zum Ausgang. Dort warten schon die ersten Verwandten. Sein älterer Bruder Haben, der in Seattle lebt und auch zum Familienbesuch hier ist, sowie ein paar andere Freunde, darunter ein Mikele. Erst einmal fallen alle Mehrtab um den Hals. Große Wiedersehensfreude. Mit Tuc-Tuc geht’s danach den gut einen km nach Shire und weiter zum Bus- und Sammeltaxiplatz, wo wir in einen dieser übervollen Minibusse steigen. Ich habe tausende davon gesehen, bin aber selbst bislang niemals in einem mitgefahren. Ist eben alles anders diesmal. Die Dinger sind immer überfüllt, meist uralt und in den wenigsten Fällen verkehrssicher. Sicherheitsgurte? Gehört hat man hier davon, gesehen aber noch nie.

    Haben ist natürlich nicht rein zufällig gleichzeitig zu Besuch. Er ist schon eine Weile hier und hat auf Mehrtab gewartet. Sie haben ihre Reisen so gelegt, dass sie sich auch hier begegnen. Als Ferenji darf ich meine allererste Fahrt im Sammeltaxi vorn rechts auf dem Beifahrersitz erleben. In der Mitte links neben mir nimmt Mehrtab Platz. Wir sitzen also etwas privilegiert, nicht ganz so gedrängt. Die Fahrt nach Shiraro dauert knapp 2,5 Stunden immer in Richtung Nordwesten. Unterwegs steigen Leute aus und andere zu, so dass der Bus immer voll ist, das sind dann so 18 bis 21 Personen. Die Fahrer fahren schnell. Sie kennen ihre Strecke und wissen, welches Schlagloch an welcher Stelle am sanftesten durchfahren werden kann oder wo an den Speedbreakern man drüberfahren muss, um am wenigsten abzubremsen. Es passieren aber auch so immer noch genug Unfälle. Zeugnisse davon geben die Fahrzeugwracks, die gelegentlich abseits der Straße herumliegen. Man lässt das hier einfach liegen, solange es den Verkehr nicht behindert.

    An größeren Ortschaften wurden Checkpoints eingerichtet, lokale Sicherheitskräfte überprüfen die ID der Reisenden und durchsuchen Fahrzeug und Insassen nach Waffen. Uns beide lässt man in Ruhe. Ein Ferenji passt nicht in das Raster. Sein Begleiter offenbar auch nicht. Je näher wir dem Zielort kommen, umso stiller wird mein Freund Mehrtab. Der sonst so geschwätzige schaut gedankenversunken und in sich gekehrt nach vorn aus dem Fenster. Da kommen wohl alte Erinnerungen hoch.

    Shiraro ist eine Ortschaft ganz im Norden Tigrays, nur 10 km von der Grenze Eritreas entfernt mit vielleicht um die 20.000 Einwohner. Touristisch völlig uninteressant und weit abseits. Die Kirche St. Michael ist dann auch das interessanteste Gebäude. Die Hauptstraße führt durch den Ort, abseits davon in einfach gepflasterten Nebenstraßen und unbefestigten Seitenwegen die einfachen Häuser der Bewohner.

    So sieht Shiraro abseits der Hauptstraße aus. Manche Seitenstraßen sind auch gepflastert.

    Das Sammeltaxi hält, wir steigen aus und gehen dann in eine abzweigende Seitenstraße. Nach kurzer Zeit trifft Mehrtab die ersten Bekannten und Verwandten schon auf der Straße. Es erfolgen jeweils herzliche Begrüßungen und Umarmungen. Schließlich treten wir durch eine Tür auf ein Grundstück dieser Seitenstraße und betreten an einem Seitengebäude vorbeigehend den Innenhof. Hier ist jetzt der emotionalste Moment der ganzen Reise. Mehrtab trifft seine Eltern nach neun Jahren in der Fremde und kann sie in die Arme schließen. Ich halte mich im Hintergrund und verzichte auf Fotos. Davon kann ich später noch genug machen. Dieser stille Moment gehört ganz allein Mehrtab und seinen Eltern.

    Dann bin ich an der Reihe. Alle auf dem Hof wissen ja bereits, wer ich bin und freuen sich, mich heute persönlich kennenzulernen. Hinter Mehrtab bin ich somit der zweitbedeutendste Gast. Wir müssen auf den gemütlichsten Sesseln Platz nehmen und werden regelrecht umsorgt. Mir werden weitere anwesende Familienmitglieder vorgestellt, Tanten und Cousinen. Nach und nach kommt auch die Nachbarschaft. Es hat sich herumgesprochen, dass wir da sind. Wir essen auf dem Hof zu Abend und man hat Dashn Bier besorgt.

    Die Eltern - ganz links Haben

    Als es bereists dunkel ist, werde ich mit dem Tuc-Tuc zu einer Herberge namens Selam2 Hotel gebracht. Eine einfache Unterkunft im local african standard. Weder schön noch komfortabel, sondern schlicht und funktional. Ich habe nichts daran auszusetzen. Einen Schrank hat das Zimmer nicht, aber ich habe ja auch kein Gepäck, das ich da reintun könnte. Travel light eben. Vom Chef der Herberge ordere ich mir Seife und Handtuch, da ich ja kein Waschzeug dabeihabe. Dann ist endlich Zeit für eine Dusche. Die erste seit dem 5. Jan. also seit vier Tagen. Ich bleibe im Zimmer und gehe nicht noch mal raus. Die Eindrücke von heute lasse ich erst einmal sacken.

    Dafür finde ich es an der Zeit, meinem Freund Muller mitzuteilen, dass ich im Lande bin. Er ist noch völlig ahnungslos. Ich hatte zwar mal erwähnt, dass vielleicht noch ein Besuch drin ist, wenn ich mit meinem Bielefelder Freund zusammen reise, aber das war eher vage. Dabei kann ich mir jetzt auch einen kleinen Spaß gönnen. Zuerst schicke ich ihm eine SMS über meine lokale Nr. hier. Dann rufe ich ihn über meine äth. SIM an. Es klingelt, aber geht nicht ran. Macht nix, er ruft mit Sicherheit zurück. Nach nicht allzu langer Zeit kommt der Rückruf. Ich begrüße ihn auf Amharisch. Er ist irritiert. Ich lege nach und frage, ob er weiß wer dran ist. Dann erkennt er mich an der Stimme. Hocherfreut, dass ich es wieder ins Land geschafft habe, quatschen wir erst einmal. Ich kündige meinen Besuch in einigen Wochen an, wenn wir von unserer Tour ins Land zurück sind. So in den letzten 7 bis 10 Tagen vor dem Rückflug. Genauer habe ich noch nicht geplant.

    Am nächsten Morgen werde ich von Mikele, Haben und Mehrtab abgeholt. Wir steuern ein Lokal an, wo wir auf dem Innenhof frühstücken. Es gibt Fatah, ein Gericht, welches ich auch schon einmal selbst gemacht sowie in Frankfurt (Oder) mit Mehrtab zusammen zubereitet und gegessen habe. Dazu Buna.

    Danach geht’s zum Hof der Familie, wo es gleich noch einmal Essen gibt, sowie erneut Buna. Mehrtab ist nicht dabei. Er ist zurück nach Shire und will unsere Koffer holen. Die sollen jetzt angekommen sein. Mit Mikele und Haben gehe ich um die Mittagszeit einen ersten Gang durch den Ort machen. Einen Friseur bräuchte ich. Also suchen wir ein solches Geschäft auf. Mit frischem Haarschnitt pilgern wir gemächlich zum Elternhof zurück. Auch Haben hat die Gelegenheit genutzt und sich stylen lassen.

    Auf dem Hof lerne ich weitere Verwandtschaft kennen. Die Familie ist halt sehr groß. Da sind weitere Tanten und Cousinen aufgetaucht. Haus und Hof der Familie sind afrikanisch einfach. Stein-/Lehmbauten mit Nebengelass einer Außenküche und Platz für Hühner. Im hinteren Teil in einer Ecke die Hocktoilette unter freiem Himmel, umgeben von einer geschichteten Steinmauer. Haus und Hof sehen sehr alt aus. Das steht hier alles seit Jahrzehnten unverändert. Mir werden wieder die besten Plätze zugewiesen und ich werde immer wieder in den Schatten gebeten, wenn die Sonne weiterzieht. Auf dem Hof stehen schattenspendende Bäume und es ist sehr gemütlich darunter zu sitzen. Ich kann meine Gedanken treiben lassen und die Stimmung aufsaugen. Mir werden wieder Dashn Biera angeboten und immer wieder Buna.

    diverse Schwestern, Tanten, ich konnt´s mir nicht merken. Aber der in der Mitte ist Haben. Gaaanz sicher.

    Am späten Nachmittag ist Mehrtab mit dem Gepäck zurück. Im Haupthaus, in dem was ich als Wohnzimmer oder Salon der Familie bezeichnen würde, wird jetzt ausgepackt, Mehrtab kann seine Mitbringsel und die Klamotten verteilen. Nach dem Abendessen werde ich mit ihm und meiner Reisetasche zur Herberge gefahren, wo ich nach einer Dusche auch endlich frische Wäsche anziehen kann. Ich bleibe auf dem Zimmer. Es sei zu unsicher, in den dunklen Seitenstraßen hier 300m abseits der Hauptstraße abends als Ferenji allein unterwegs zu sein. Durch den Krieg sind viele Menschen völlig verarmt und verzweifelt. Heimatvertriebene und Flüchtlinge sind im Ort. Bei einem Weißen wird immer Geld vermutet. So halte ich mich an die Vorgaben.

    Am nächsten Morgen, als nach 2.00 Uhr a.m. (äth. Lokalzeit, nur als Hinweis) noch niemand sich gemeldet hat, ziehe ich los zum Frühstücken. Jetzt ist es hell und es sind genügend Leute unterwegs. Keine Gefahr also. Das Frühstückslokal von gestern finde ich nicht wieder, aber es gibt genügend andere. Ich suche mir einen Platz an der Hauptstraße und frage ob ich hier Fatah haben kann. Ja, gibt es. Ich bleibe und ordere Fatah mit 4 Brötchen und Buna. Die Schale mit den Fladenbrötchen wird mir gebracht. Vom Vortag weiß ich, was ich damit zu machen habe. Brötchen in der Schale kleinzupfen. Auf ihre Handzeichen, die das Kleinzupfen andeuten nicke ich nur. Ich weiß, ich weiß.


    Fatah, leider nur in Tigray zu bekommen anscheinend.

  • 8. bis 15. Jan. - Shiraro

    Die Bedienung holt die Schale wieder ab und nach 10 Minuten steht das Fatha vor mir. Äußerst lecker und immer wieder anders. Mal mit Ei oder Joghurt, mal mit mehr oder weniger Salat. Je nachdem wo man es bestellt und wie man es bestellt. Fatah, das Frühstück für Champions ist offenbar ein reines Gericht aus Tigray. Ich habe es bislang in keinem anderen Teil Äthiopiens gesehen. Mehrtab ruft mich an. Er fragt, wo ich sei und ob ich schon gefrühstückt habe.

    Wir treffen uns an der Hauptstraße und schlendern zum Hof seiner Eltern. Später gehe ich mit Haben und Helen (einer anderen, Habens Nichte) in Shiraro in eine Saftbar zu einem leckeren Dicksaft. Haben heißt bei mir intern Will Smith, weil er Ähnlichkeit mit dem Schauspieler in jüngeren Jahren hat. Sogar die Mimik ist gleich und er kann die gleiche Schnute machen.

    Abhängen mit Will Smith


    Am Nachmittag sind wir eingeladen bei Senayts Eltern, die praktischerweise auch in Shiraro leben, gleich um die Ecke sozusagen, es sind nur 5 Minuten Fußweg. Alle ziehen sich für diesen Anlass pikfein an. Anzug und Krawatte. Ich komme mir mit meinem Shirt und der Shorts very underdressed vor und bestehe darauf, noch in die Herberge zu gehen und mich umzuziehen. Ich habe zwar nur lange Jeans mit, aber wenigstens ein Hemd für bessere Anlässe zum Anziehen dabei. Und statt der Pantoletten ziehe ich Sneaker an.

    Auf dem Grundstück, wo Senayts Eltern wohnen, leben augenscheinlich mehrere Familien. Wir gehen eine Treppe hinauf in den ersten Stock eines Gebäudes. Ein paar Ziegen und Hühner gibt es auch dort oben. Wir begrüßen und werden begrüßt und umarmt. Dann gibt es zu essen und zu trinken. Mit der einsetzenden Dämmerung treten wir den Heimweg an. Ich werde von Mehrtab und Helen v. Haben zu meinem Zimmer begleitet.

    Fahrzeug einer Hilfsorganisation, auf dem Hof des Selam2 geparkt.

    Am nächsten Morgen ist nach dem Frühstück Stadtführung. Mehrtab zeigt mir den Ort. Dabei bevorzugen wir die Seitenstraßen. Haben und Mikele sind mit dabei. Wo er früher zur Schule gegangen ist, hat er mir bereits gezeigt. Wir gehen an einem Kindergarten vorbei. Ich bekunde Interesse und er fragt, ob ich mir den gern ansehen möchte. Natürlich möchte ich und wir klopfen am Tor. Mein Freund fragt nach und ja wir dürfen eintreten. Zuerst auf den Hof des Kindergartens, dann in den Betreuungsraum, wo gerade eine Art Unterricht stattfindet. Kennenlernen des Alphabets und zwar das mit den lateinischen Buchstaben. Ja, hier wird den Kindern auch bereits ein bisschen Wissen beigebracht, es ist nicht eine reine Aufbewahrungsstätte. An den Wänden ein paar Plakate mit Alphabet und simplen Rechenaufgaben. Die Kinder sind im Alter zwischen drei und sechs Jahren und blicken neugierig auf den Ferenji. Spielzeug kann ich keines sehen. Der Betreuer sagt, vieles wurde von den Eritrea-Soldaten, die den Ort besetzt hatten weggeschleppt. Ich bin eigentlich sehr angetan, was hier unter den schlechten Bedingungen geleistet wird. Frühstück bringen die Kinder in ihren kleinen Rucksäcken selbst mit, Mittagessen bekommen sie in der Einrichtung, sagte der Betreuer auf meine Nachfrage. Also so riesige Unterschiede kann ich zwischen Kindergärten in D und dem hier nicht feststellen, außer dass hier sogar Wissensvermittlung wie in einer Vorschule stattfindet. Das geht sogar über das hinaus, was in der pädagogischen Konzeption der Brandenburger Kitas enthalten ist. Schauplakate und dergleichen, die in amharischer Sprache an den Wänden hängen, sollen nach und nach durch solche in Tigrinya ersetzt werden. Man möchte das Amharische hier in Tigray nicht mehr so gerne haben. Da haben zwei Jahre Bürgerkrieg so ihre Spuren hinterlassen. Wir bedanken und setzen unseren Rundgang fort.

    Mehrtab ist auf der Suche nach jemanden, der früher hier in Shiraro gewohnt hat, aber nicht mehr im selben Haus lebt. Er weiß nur, dass diejenige Person immer noch in Shiraro leben soll. Da es aber keine Straßennamen und Hausnummern gibt, wird das ein Suchspiel. Er fragt sich durch wie bei einer Schnitzeljagd, bis er an eine Auskunftsperson gerät, die den zielführenden Hinweis gibt, wo die gesuchte Person jetzt lebt. Dann sind wir am richtigen Haus und werden auf den Hof gebeten. Ich habe mir hier nicht gemerkt, in welchem Verhältnis mein Freund und die wiedergefundene Frau stehen, zur Familie gehörte sie jedenfalls nicht.

    Später gehen wir zu einer ehemaligen Sportstätte. Früher war das mal ein Stadion mit Fußballplatz, Tribüne und Räumen für die Sportler. Jetzt ist es praktisch ein entkernter Rohbau sowie eine wilde Flüchtlingsunterkunft. In diesem Bunker haben zu Hochzeiten bis zu 8000 Menschen Zuflucht gesucht. Vertriebene aus Westtigray und solche aus dem Grenzgebiet zu Eritrea.

  • 8. bis 15. Jan. - Shiraro

    In einem der Räume befragen wir eine Flüchtlingsfrau über ihre Lage. Sie stammt auch aus dem westlichen Tigray und ist vor amharischen Kämpfern geflohen, die jetzt das Land besetzt halten. In diesem Raum leben aktuell 40 Personen. Dann zeigt sie auf ein kleines Häufchen Säcke. Das seien die verbliebenen Lebensmittel (vermute Reis bzw. Getreide für Injera), die für noch etwa zwei Tage reichen. Danach haben sie nichts mehr. Es ist eine Seite, so etwas aus den Nachrichten in den Medien zu hören, es ist aber eine ganz andere Nummer, das vor Ort von den Betroffenen selbst zu hören und dabei die Gesichter der Menschen zu sehen und ihre Sorgen, Verzweiflung bis hin zu Hoffnungslosigkeit als Ausdruck daraus lesen zu können. Da geht man echt mit einem Kloß im Hals. Einziger Lichtblick, auch für das eigene Befinden, die Kinder spielen dennoch, wie Kinder eben spielen. Da ist schnell ein Lachen zu hören oder ein Lächeln den Gesichtern zu entlocken.

    die letzten Vorräte für 40 Personen

    Überall im Bunker haben sich die Flüchtlinge diese Öfen gebaut.

    Am Nachmittag kommt der Gegenbesuch. Die Eltern von Senayt kommen zu Besuch. Aber auch Schwestern oder/und Tanten kommen vorbei. Und niemanden stört es, wenn der eine oder andere Nachbar plötzlich ebenfalls da ist. Bald ist eine richtige kleine Party in Gang.

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    und immer wieder Hilfsorganisationen

    Einen komischen Sinn für Ästhetik haben manche Länder. Das Plakat wird aus China sein und soll bei den Eltern sicher patriotische Gefühle und Stolz auslösen. Ihr Kind einmal heldenhaft in der Armee. Wenn ich mir den fetten Bengel mit Babyface anschaue, kommen mir aber alles andere als partiotische Gedanken. Das wirkt eher wie eine Persiflage auf die Armee.

  • 8. bis 15. Jan. - Shiraro

    Am Freitag hat mein Freund eine Verabredung in Shire. Dort will er sich mit zwei Cousinen treffen. Vorher lässt sich Mehrtab bei einem Friseur noch aufhübschen. Am späten Vormittag brechen wir nach Shire auf. Wir, dass sind Mehrtab, Helen v. Haben und ich. Selbstverständlich mit Sammeltaxi. Am Straßenrand stehen vereinzelt noch die militärischen Überreste einer hier mit anderen Mitteln fortgesetzten Politik.

    Wer darauf abfährt, an seinem Sitznachbarn klebend in direktem schweißigem Körperkontakt zu treten, ist hier im Sammeltaxi genau richtig. In Shire angekommen, gehen wir in das Cafe Amazon und warten auf die Cousinen. Mehrtab bestellt mit Helen und den anderen Damen zusammen Pizza. Da ich den Pizzaqualitäten der Äthiopier nicht so recht traue, bestelle ich mir was Lokales mit Injera. Was genau das ist weiß aber nicht. Was dann kommt, sieht so aus:

    Das Zeug mundet mir überhaupt nicht. Schmeckt wie sauer gewordene Injera. Bähh. Nein, das bekomme ich nicht runter. Hätt ich doch bloß Pizza genommen, die sieht richtig gut aus. Irgendwie schafft es Mehrtab an mir vorbei eine weitere Pizza für mich zu bestellen. Jedenfalls kann ich jetzt reinhauen. Das Teil ist allerdings zu groß für mich. Nicht zu schaffen. Auch die Damen sind satt und schaffen die Pizza nicht. Außerhalb des Lokalgeländes kommen öfters um Geld oder Essen bettelnde Kinder vorbei. Nachdem wieder ein Junge mit bettelndem Blick vorbeikommt, ruft Mehrtab ihn heran und fragt, wie er heißt und woher er kommt. Die Bedienung fragt er, ob der Junge sich hier setzen und die noch übrigen Pizzastücken aufessen darf. Er darf und so erfahren wir ein weiteres Schicksal eines Verlierers des Krieges. Während der Junge die Pizzateile isst, antwortet er auf Mehrtabs Fragen. Mengista heißt er und schlägt sich allein durch. Er kommt aus einem Ort namens ?Gilab? Feres in West-Tigray, ist jetzt 12 Jahre und war wegen des Krieges seit drei Jahren nicht mehr in der Schule. Der Vater ist verstorben, die Mutter in irgendeinem Flüchtlingslager. Mehrtab lässt dem Jungen die Pizzateile, die er nicht mehr geschafft hat einpacken und gibt ihm noch 200 Birr.


  • 8. bis 15. Jan. - Shiraro

    In Tigray sind eine Menge Hilfsorganisationen am Werk, um zu helfen, von der UN über diverse NGOs, medizinische Hilfe, Traumahilfe, Ernährungshilfe und was es sonst noch so geben mag, die Folgen des Krieges, von Hunger und Dürre zu mildern.

    Mehrtab gibt mir eine Kugel. Sieht wie eine Nuss aus, ist aber Tzebil. Die soll ich in Wasser auflösen und mich damit befeuchten. Wichtig, danach nicht duschen oder mit Seife abwaschen. Tzebil ist von einem Priester gesegnet und soll Heilung bringen und Gesundheit erhalten. So glauben es die Menschen hier.

    Nach dem Treffen begeben wir uns auf den Rückweg. Mit dem Sammeltaxi geht es nach Shiraro. Noch in Shire, bei einem Halt, ruft Mehrtab, der eine Reihe hinter mir sitzt: „Mach mal hoch deinen Fuß.“ Welchen rufe ich zurück. „Beide.“ Gesagt getan und nach unten schauend sehe ich wie DAS hineingeschoben wird.

    Ein Stahlträger. Zuvor wurde vorn bereits eine Fahrzeugachse o.ä. quer verstaut. Groß gesichert wird die Ladung nicht. Die Füße der Passagiere werden die Fracht schon fixieren. Vielleicht ein klein wenig überladen treten wir die Weiterfahrt an. Die fehlenden Sicherheitsgurte haben im Ernstfall auch etwas Gutes. Ist eventuell besser, einen Crash nicht zu überleben.

    In Shiraro steigen wir gleich in Höhe der Herberge an der Hauptstraße aus. Helen v. Haben und Mehrtab bringen mich hin und wir wünschen uns eine gute Nacht. Im Zimmer löse ich wie geheißen den Tzebil in einer Flasche Wasser auf und beträufele mich damit. Es reicht auch noch für eine zweite Anwendung morgen. Glauben tue ich ja nun nicht an so etwas, aber schaden kann es ja auch nicht.

    Am folgenden Tag machen sich Mehrtab und Haben zu Fuß auf in eine abgelegene Ortschaft. Dorthin sind es mehrere Stunden Fußmarsch über schwieriges Gelände. Deshalb bin ich hier nicht eingeplant. Es geht auch wohl um eine Bestattung soweit ich mitbekommen habe. Nein, solche Touren kann ich definitiv nicht mehr machen. Erwischt mich unterwegs ein OFF, hängen wir eventuell stundenlang in der Wildnis fest.

    Also suche ich mir allein Beschäftigung und gehe an der Hauptstraße entlang bis zum Ortseingang, um vielleicht ein Foto vom Ortsschild zu machen. Doch leider steht da nur der Pfahl, wo es einmal dran war. Beim Rückweg kaufe ich für wenige Birr bei einem Mädel, welches am Straßenrand Süßigkeiten verkauft, vier kleine Packungen Kekse bzw. Waffeln. Die waren eigentlich für die Kinder auf dem Hof gedacht, finden aber bei Mehrtabs Mutter und drei Nichten auch guten Anklang.

    Auf dem Hof der Familie verbringe ich dann die Stunden in angenehmer Gesellschaft bei Mehrtabs Verwandten, insbesondere dreier Nichten. Helen v. Haben, Merot und einer, von der ich den Namen nicht kenne. Leben auf dem Bauernhof, wie es in Vorzeit wohl auch in Europa üblich war. Da rennen die Hühner schon mal über das gespülte Geschirr, oder wirbeln Stauf auf, der dann im gerade zubereiteten Essen landet. Damit muss man hier leben.

    mitNichten

    Helen hat dattelähnliche Früchte mitgebracht. Unter einer dünnen Schale umgibt eine süße klebrige Schicht den großen Kern. Diese süße Schicht wird abgelutscht oder mit den Zähnen abgeschabt. Natürliche Süßigkeiten. Agulum heißt sie hier, als ich nach dem Namen der Frucht und des Baumes frage. Ich beginne im Netzt zu recherchieren. Interessiert mich doch, wie die sonst genannt wird, in Europa bspw. So richtig fündig werde ich aber nicht. Es gibt ein paar Bilder, da erkenne ich die Frucht drauf, das sind allerdings Facebook Einträge, da komme ich ohne Account nicht heran. Dann werde ich doch belohnt. Ich entdecke einen Querverweis auf Balanites aegyptiaca, die Wüstendattel bzw. Zachumbaum. In anderen Gegenden auch als Lalob bekannt.

    Da ich mir noch die Kirche St. Michael ansehen möchte, begleiten mich Yohannes, ein Freund von Mehrtab und Yared ein Neffe von ihm dahin. Yared ist der Sohn von Amthom, einem anderen Bruder von Mehrtab. Dieser ist seit mehreren Jahren verschollen. Er wurde während des Bürgerkriegs in Tigray von Eritreamilitär verschleppt. Es erfolgte später eine Lösegeldforderung über 3000 Dollar/Euro an die Familie. Und obwohl das Geld zusammengesammelt und gezahlt wurde, kam der Bruder nicht frei. Es fehlt seit langem jegliches Lebenszeichen und auch über den Aufenthaltsort ist der Familie nichts bekannt. Sie gehen davon aus, dass er nicht mehr lebt. Mehrtab hatte mich zu Beginn des Besuchs in Shiraro gebeten, den Namen Amthom nicht zu erwähnen. Zu groß der Schmerz. An der Kirche entdeckt Yohannes eine Winterdattel, an der noch Früchte hängen. Mit geworfenen Stöcken holen er, Yared sowie einige andere Kids, die gerade da sind einige Früchte vom Baum.

    Am folgenden Tag so gegen Nachmittag sind Haben und Mehrtab von ihrer Wanderung zurück. Ziemlich geschafft und verstaubt sehen sie aus. Abends als mich Mehrtab zur Herberge bringt, nutzt er die Gelegenheit dort gleich zu duschen, bevor wir uns mit einem dehna idir verabschieden.

    Am 15. Jan. bin ich zeitig wach. Draußen Priestergesang über Lautsprecher, der von der Kirche St. Michael herüberschallt. Dort wollte ich noch einmal hin. Vielleicht kommt man ja heute in die Kirche rein, außerdem brauche ich noch ein Foto von der Wüstendattel, also vom Baum. Das hatte ich beim letzten Besuch vergessen. Vorher aber packe ich meine Sachen komplett ein und stelle mein Gepäck abreisebereit. Vom Selam2 Hotel gehe ich gleich die Nebenwege benutzend, den direkten Weg in Richtung St. Michael. Das Kirchengebäude ist leider geschlossen. Aber vor der Kirchenmauer predigt ein Nachwuchspriester und viele Gläubige sitzen oder stehen dabei. Die Frauen zumeist in ihren weißen Kirchentücher gehüllt. Ich setze mich dazu und lausche der Predigt. Nachwuchspriester deshalb, weil der Vorleser gelegentlich von hinten verbessert wird oder sich ab und an fragend nach hinten umschaut. Ein älterer Herr mit weißem Bart steht auf und bittet mich zu sich heran. Die Männer sitzen allesamt auf großen Betonstufen, offenbar der zugedachte Platz für sie. Also setze ich mich auch dorthin, neben dem älteren Herrn und höre weiter zu. Nach einer Viertelstunde ist die Predigt zu Ende. Ich verabschiede mich von dem älteren Herrn und gehe hoch zur Kirche, die Fotos vom Baum machen, als plötzlich Yared auftaucht. Er soll mich holen, wir wollen abfahren. Nun möchte ich aber doch wissen, wie er mich gefunden hat, denn ich habe niemanden gesagt, dass ich heute Morgen zur Kirche gehe. Der Ferenji wurde aber von genügend Augen gesehen, wie er da unterwegs ist. Aha, der Buschfunk hier funktioniert. Noch auf dem Kirchengelände treffen wir auf einen Priester. Wir gehen noch einmal hoch zur Kirche und er möchte gern, dass ich ein Foto mache.

    Yared in weiß

    Haben, Helen v. Haben und Mehrtab packen ihre Sachen zusammen. Sie verabschieden sich erst einmal von ihrer Familie und dann holen wir aus dem Selam2 Hotel meine Tasche und Rucksack. Auf dem zentralen Busplatz steigen wir in ein Sammeltaxi nach Shire. Meine Riesentasche fährt oben mit, das leichte Reisegepäck der anderen drinnen. Ich sollte eigentlich auch umpacken, aber das wäre zu umständlich geworden. Hätte ich doch die Medis wieder anders sortieren müssen, dann habe ich auch keine kleinere Tasche, sondern nur den Rucksack, wo verpacke ich den Rest? Für wieviel Tage, ich weiß ja nicht, wie unsere Reiseroute aussieht. Die Reisetasche oben kostet extra. Auf geht’s nach Shire erst einmal.

  • Das der anderen wurde nicht vergessen, sondern ausdrücklich nicht mitgenommen, weil aufgrund des orthodoxen Weihnachtsfestes die Leute in den letzten Tagen so viel Gepäck dabeihatten, dass sich ein Rückstau bildete, da in die Flugzeuge einfach nicht mehr reinpasste.

    Das hätte ich - glaube ich - unfair gefunden: Ich habe die akzeptierte Menge Gepäck dabei und muss drauf warten, weil das Zeug von Leuten, die zu viel dabei hatten, zuerst ihren Kram bekommen. Zumindest hätte ich erwartet, dass man mir das vor dem Abflug sagt, um noch etwas umpacken zu können für die folgenden beiden Tage.

    Mehrtab trifft seine Eltern nach neun Jahren in der Fremde und kann sie in die Arme schließen. Ich halte mich im Hintergrund und verzichte auf Fotos. Davon kann ich später noch genug machen. Dieser stille Moment gehört ganz allein Mehrtab und seinen Eltern.

    Das muss ergreifend gewesen sein... In den 9 Jahren ist viel passiert, in Äthiopien und mit ihm in Deutschland...

    in eine Saftbar zu einem leckeren Dicksaft.

    Eine meiner schönsten Erinnerungen in Bezug auf Essen und Trinken: Diese tollen "Säfte", die tatsächlich mit einem Berg auf dem Glas ausgeliefert werden!

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • In einem der Räume befragen wir eine Flüchtlingsfrau über ihre Lage. Sie stammt auch aus dem westlichen Tigray und ist vor amharischen Kämpfern geflohen, die jetzt das Land besetzt halten. In diesem Raum leben aktuell 40 Personen. Dann zeigt sie auf ein kleines Häufchen Säcke. Das seien die verbliebenen Lebensmittel (vermute Reis bzw. Getreide für Injera), die für noch etwa zwei Tage reichen. Danach haben sie nichts mehr. Es ist eine Seite, so etwas aus den Nachrichten in den Medien zu hören, es ist aber eine ganz andere Nummer, das vor Ort von den Betroffenen selbst zu hören und dabei die Gesichter der Menschen zu sehen und ihre Sorgen, Verzweiflung bis hin zu Hoffnungslosigkeit als Ausdruck daraus lesen zu können. Da geht man echt mit einem Kloß im Hals.

    Hmmm, mir fällt dazu spontan so eine Serie oder Doku-Serie auf RTL oder so ein, die vor etlichen Jahren lief: "Die strengsten Eltern der Welt", bei denen nörgelnde deutsche Kinder in andere schlechter gestellte Länder und Gesellschaften gebracht wurden um zu lernen, dankbar zu sein. Ich meine damit nicht nörgelnde Flüchtlinge aus Deutschland, aber vielleicht doch mal die nörgelnden Menschen, die sehr straff ihre "Meinung" vertreten und genau wissen, dass alle ja nur Wirtschaftsflüchtlinge seien, die sich nur bei uns gesund stoßen wollen, um dadurch der zurückgebliebenen Familie ein Leben in Saus und Braus zu ermöglichen...

    Nachdem wieder ein Junge mit bettelndem Blick vorbeikommt, ruft Mehrtab ihn heran und fragt, wie er heißt und woher er kommt. Die Bedienung fragt er, ob der Junge sich hier setzen und die noch übrigen Pizzastücken aufessen darf. Er darf und so erfahren wir ein weiteres Schicksal eines Verlierers des Krieges. ... Mehrtab lässt dem Jungen die Pizzateile, die er nicht mehr geschafft hat einpacken und gibt ihm noch 200 Birr.

    Das sind Szenen, die ich aus Indien kenne. Mir haben vertrauenswürdige Locals mitgegeben, dass man einem Bettler immer etwas zu essen anbieten kann. Wenn er es nimmt, hat er wirklich Hunger. Aber wenn er es ablehnt, dann ist die Not vielleicht nicht ganz so groß.

    Im Herbst in Kerala ergab sich so eine Situation, dass eine Frau gerade vor dem Lokal bettelte, in dem ich essen wollte. Ein Thali für sie hatte umgerechnet 1 Euro gekostet, also für unsere Verhältnisse nicht ins Gewicht fallend. Aber man sah an den Gesichtern rings um mich herum, dass das sehr willkommen war und positiv gesehen wurde. Ich will das öfter machen. Leider stehen Sprachbarrieren und meine Unkenntnis, wo ich nun schnell etwas herbekomme, in vielen Situationen dem entgegen.

    Wenn ich meinen Freund Sandeep beobachte, wie er mit solchen Situationen umgeht, geht es mir immer sehr zu Herzen. Mein großes Vorbild!

    Groß gesichert wird die Ladung nicht. Die Füße der Passagiere werden die Fracht schon fixieren. Vielleicht ein klein wenig überladen treten wir die Weiterfahrt an. Die fehlenden Sicherheitsgurte haben im Ernstfall auch etwas Gutes. Ist eventuell besser, einen Crash nicht zu überleben.

    Da hast du also "das echte Äthiopien" erlebt, juchuuu!

    Wenn ich in Facebookgruppen lese, dass man nur in schrottigen Sammeltaxis und Bussen mit eingebauter Vorfahrt reisen sollte, sowie wie die Einheimischen das Wasser trinken und alles Angebotene essen solle, dass man wie die Einheimischen für umgerechnet 3 Euro pro Nacht übernachten müsse, um "das wahre xxx" zu erleben, gruselt es mich manchmal.

    Du bist ja inzwischen echt hart gesotten, was das "Leben wie die Einheimischen" betrifft.

    Hattest du keine Angst vor Unfällen und hygienebedingten Krankheiten?

    Nun möchte ich aber doch wissen, wie er mich gefunden hat, denn ich habe niemanden gesagt, dass ich heute Morgen zur Kirche gehe. Der Ferenji wurde aber von genügend Augen gesehen, wie er da unterwegs ist. Aha, der Buschfunk hier funktioniert.

    Ha ha, da sieht man mal, du gehst ganz sicher nicht verloren!

    "Your soul was born in India!"

    (Vinod zu mir in Gujarat im März 2023)

  • Hattest du keine Angst vor Unfällen und hygienebedingten Krankheiten?

    Wasser habe ich grundsätzlich nur als Flaschenabfüllung getrunken. Sogar Mehrtab hat es so gehalten. Wegen evt. Unfällen habe ich einfach auf das Sankt Florianprinzip gehofft. Alternativmöglichkeiten gab es ja keine. Bezahlbaren. Von Mehrtabs Seite aus gesehen.

  • Danke für Deinen bisherigen Bericht:

    Er gibt mir mehr + vor allem wahrhaftige Einblicke über die Zustände in diesem kriegs- und krisengeschüttelten Land als alles, was ich im Internet finde - wobei ich aber auch nicht wirklich zielgerichtet suche, sondern nur lese!