Dienstag 1.11.2022
Am späten Nachmittag geht mein Flug nach Kolkata. Ich habe im Hotel einen late Check-out vereinbart und kann daher den Tag noch bis nach dem Mittag hier genießen. Ich verbringe den frühen Morgen nochmals im noch ruhigen Mahabodhitempel.
Im Allerheiligsten ein ins Gebet versunkener Lama in der Mitte zu Füßen der Buddhastatue, meditierende und rezitierende Mönche und Nonnen bescheiden an der Seite in dem engen Raum sitzend, die Mitte von einer riesigen Donationbox ausgefüllt. Ich drücke mich in eine Ecke und bin ergriffen von der ehrfürchtigen Atmosphäre.
Dann passiert es: Laut schimpfend, vermutlich mit dem Inhalt, dass sie ihre Arbeit unter diesen Umständen nicht erledigen kann, kommt die Putzfrau rein, haut mir erstmal den Ellenbogen auf den Kopf, beginnt, den Teppich aus Blütenblättern zusammenzukehren, schlägt dabei das Tuch um, auf dem der betende Lama sitzt, kehrt verschiedene Mönchsknie und -hinterteile mal eben mit ab. Und der Lama betet und die Mönche meditieren und rezitieren und es liegen immer noch Blütenblätter auf dem Boden. Aber ich muss total lachen!
Anschließend schüttele ich wieder meine “Freunde” der letzten Tage ab, die an mir kleben wie Pech, indem ich für den kurzen Weg zum Hotel eine Rikscha nehme. Auf dem Flug nach Delhi habe ich neben einer in den USA lebenden Inderin auf Heimatbesuch gesessen, die meinte, in anderen Ländern müsse man Angst vor Gewalt haben, in Indien werde man eher eingewickelt und charmant abgezockt. Das hat sie super auf den Punkt gebracht. Und genau das deutet sich hier mehr oder weniger professionell immer wieder an.
Ich gehe am späten Vormittag zu Siddharths Shop und kaufe meinen Buddha und außerdem eine Silberkette, weil mein Band für mein “Om” vor ein paar Tagen gerissen ist. Siddharth bringt mich und meinen neuen Buddha zum Hotel und wartet vor dem Hotel auf mich, wir wollen noch zusammen Mittag essen. In dem einfachen Lokal nebenan bestellen wir Dosa. Ein Pilger stellt sich dazu und bittet um etwas Geld, er habe seit 3 Tagen nicht gegessen. Siddharth fragt ihn freundlich, ob er auch etwas essen will und bestellt ihm auch Dosa und Tee. Der alte Mann ist sehr dankbar und isst mit Appetit. Siddharth erklärt mir, man solle Bettlern in Indien kein Geld geben. Aber wenn jemand sage, er habe Hunger, könne man ihm etwas zu essen anbieten. Will er das nicht, dann könne es auch kein Hunger sein, sondern eher Geldgier. Die Pilger allerdings kämen tatsächlich oft ohne eine Rupie in der Tasche hierher, sodass es nie ein Fehler sei, eine Mahlzeit zu spendieren.
Es bleibt noch etwas Zeit, in der mir Siddharth auf seinem Scooty noch ein paar Tempel zeigen will und wir machen noch eine sehr kurze Tour.
Dann müssen wir uns leider verabschieden, denn ich muss noch die letzten Sachen packen und dann kommt schon mein Auto, das mich nach Gaya zum Flughafen bringen soll.
In Kolkata angekommen, will ich ein Prepaid-Taxi zum Hotel nehmen. Aber für den niedrigen Prepaid-Preis zu fahren, ist wohl unbeliebt bei den Fahrern hier, sodass es eine ganze Weile dauert, bis mir ein Taxi zugewiesen wird. Der Fahrer rastet noch am Flughafen völlig aus und brüllt lautstark herum, dass er gar nicht wisse, wo mein Hotel sei und wie er da hinkomme und dass es sich nicht lohne. Der Fahrer wird aber gezwungen loszufahren und mir wird erklärt, ich solle mir keine Sorgen machen (ha ha ha). Wenn ich mich beschweren wolle, könne ich das dann unter der Nummer tun, die im Fahrzeug an die Innenseite der Tür geschrieben ist.
Nun ja, Abenteuer pur. Der Fahrer fährt los und ich schwöre mir, mich gleich nach der Ankunft dann doch mit Uber zu befassen. Der Fahrer erklärt mir, dass er noch mindestens 300 INR Nachzahlung aufgrund der hohen Dieselpreise brauche und rastet gleich wieder aus, weil er umgehend im Stau steht. Vorerst teile ich meinen Standort mit Konsti und Sandeep und schreibe Sandeep, dass mir der Typ unheimlich sei und schildere in Stichworten die Situation. Er schaltet sofort, lässt sich von mir nochmals den Namen meines Hotels geben. Dann ruft er an und bittet mich, dem Fahrer das Telefon zu geben. Ich halte es ihm ans Ohr und höre, wie Sandeep völlig cool und beruhigend so etwas zu ihm sagt wie: “Ach, Bruder, wie schön, du sprichst Hindi.” Anschließend schreibt er mir, dass er dem Fahrer mit Google Maps den Weg zum Hotel erklärt habe und dass ich bei weiterem Fragen nach Geld einfach “ja” sagen, aber natürlich nicht zahlen solle. Immerhin wisse der Fahrer nun, dass er mich nicht verarschen könne, weil ich in Indien connected sei. Und ein Trinkgeld solle ich keinesfalls geben, denn so benehme man sich nicht einer Lady gegenüber, das dürfe ich nicht belohnen.
Ich fühle mich im Auto trotz des gruseligen Fahrers ganz wohl, denn wir fahren nicht über die Schnellstraße, sondern nur durch belebtes Gebiet. Durch das offene Fenster nehme ich immer wieder Blickkontakt zu anderen Menschen auf, und ich weiß genau, dass ein lauter Hilfeschrei dazu führen würde, dass das Auto unmittelbar umringt wäre und der Fahrer auf seinen Platz verwiesen würde, dass man mir aus dem AUto helfen und dafür sorgen würde, dass ich ins Hotel komme. Ich verfolge die Fahrt auf Google Maps und muss dem Fahrer noch manchmal den Weg weisen.
Dennoch bin ich froh, als ich endlich am Oberoi Grand in Kolkata angekommen bin. Etwas bescheidener geworden, fragt der Fahrer nach 100 INR “Nachzahlung” und bekommt 50 INR, die ich mir als Tip ohnehin vorgenommen hatte, was ihn wiederum zu einem weiteren wutentbrannten Aufschrei bringt. Aber ich bin schon samt Gepäck ausgestiegen und insofern soll er herumbrüllen, wie er will.
Ich checke in diesen vornehmen Schuppen ein, werde von einer gepflegten Dame und einem mein Gepäck tragenden artigen Trainee, den diese als “nice child” bezeichnet, in mein Zimmer begleitet und breche fast sofort auf in die Stadt, um in der nahen Park Street ein Restaurant zu suchen. Ich esse sehr gut und gönne mir auch einen Cocktail und mache mich dann auf den verhältnismäßig kurzen Weg zurück zum Hotel.