Tigray – alles anders

  • Ab 28. Jan. – Familytime in Addis


    Danach kommen wir am neu erbauten Adwa-Museum vorbei, welches die Schlacht von Adwa gegen die Italiener zum Thema hat. Ein Prestigeprojekt von MP Abiy Ahmed, das demnächst medienträchtig eröffnet wird, wenn sich die Afrikanische Union zu einem Gipfel in der Hauptstadt trifft. Da möchte der Premier gern glänzen. In Äthiopien nennt man so etwas Image building. Abiy Ahmed ist sehr am Bau seines Image interessiert. Er sieht sich selbst als großen Führer der Nation, auf einer Stufe mit den alten äth. Königen und Kaisern und möchte Äthiopien wieder zu wahrer Größe verhelfen.


    In den Jahren 2018/19 hielt ich den Staatschef noch für einen fähigen Politiker, der das damals prosperisierende Land nach vorn bringt. Der ihm verliehende Friedensnobelpreis verfehlte auch bei mir nicht seine Wirkung. Endlich mal ein afrikanischer Staatenlenker, wie man sich ihn aus westeuropäischer Sicht wünscht. Im nächsten Jahr begann der Bürgerkrieg mit der Provinz Tirgray und Abiy Ahmed zeigte ein ganz anderes Gesicht. Er ließ Krieg gegen ein ganzes Volk führen. Mit der Totalblockade von Tigray wollte er das Land und seine 6 Mio. Bewohner aushungern. Damit war er bei mir unten durch.


    Muller fragte während der weiteren Fahrt, ob mir etwas aufgefallen sei. Nein, eher nicht, was soll mir denn aufgefallen sein? Hast du heute irgendwo Straßenkinder gesehen? Nein, aber stimmt, sonst sind die an jeder Kreuzung. Bettelnde Kinder aller Altersgruppen. Schon die ganzen letzten Tage nicht. Die hat Abiy Ahmed alle einfangen lassen und sie irgendwo in Lager verfrachtet, damit sie das Stadtbild nicht stören, wenn die Limosinen der AU durch die Stadt fahren. Hört sich für mich recht abenteuerlich an, aber zutrauem würde ich es dem Premier. Irgendwas muss ja gemacht worden sein, denn es sind nun mal seit Tagen keine bettelnden Kinder in der City zu sehen. Jedenfalls hat mir Freund Muller eine schöne Idee für eine neue Karikatrur geliefert. Image building.


    Als es Zeit ist, fährt mich Muller zum Flughafen. Ich habe mit Mehrtab Kontakt aufgenommen, wir treffen uns am Airport. Und auch Helen kommt zum Tschüs sagen vorbei. Mit Muller und dem Gepäckwagen sind wir auf der Suche nach den beiden. Der Sicherheitsdienst drängelt, wir sollen uns hier nicht aufhalten, weitergehen. Dann sehen wir Mehrtab. Ich gehe zu ihm. Das passt den Sicherheitsleuten gar nicht. Einer kommt hinterhergedackelt. Die wollen uns im Gebäude haben, runter vom Vorplatz. Helen ist nicht zu entdecken. Inzwischen stehen drei Mann vom Flughafendienst in der Nähe. Wir sollen zur Eingangskontrolle weitergehn. Die Zeit auf Helen zu warten bleibt mir nicht mehr. Als ich sie am Telefon habe, hat man uns schon zur Sicherheitskontrolle komplimentiert.


    Meine Habesha Medizin erhalte ich jetzt nicht mehr rechtzeitig. Die soll irgendwo in Addis erst noch zur Abholung bereitgestellt werden. Da muss Mehrtab sich nun drum kümmern, wie wir da rankommen. Muss das Zeug halt irgendwie mit dem Postweg oder sonst wie nach Deutschland gesendet werden, falls da überhaupt noch was kommt. Am Samstag Abend, als wir auf das Boarding warten, kann ich mir Fotos von Habens verordneter Habesha Medizin auf Mehrtabs Handy anschauen. Auf einem Bild sieht man eine kleine Dose mit grauem Pulver, auf einem anderen etwas undefinierbares, wo ich nicht einmal sagen könnte, ob das eine feste oder flüssige Konsistenz hat. Sahauf den ersten Blick wie Nuggets aus.



    º¤ø,¸¸,ø¤º°`°º¤ø,¸¸,ø¤º° ኢትዮጵያ ለዘላለም ትኑር። º¤ø,¸¸,ø¤º°`°º¤ø,¸¸,ø¤º



    Fazit: Von den physischen Herausforderungen her war dies die leichteste Reise. Es gab kein schwieriges Gelände, keine Kraxeleien, keine Extremtemperaturen, keine langen Märsche, kein Herumgestolpere mit Stirnlampe im Dunkeln, kein Camping. Es war eine reine Städtetour, meine Trekkingschuhe hätte ich zu Hause lassen können. Andererseits haben sich auf dieser Reise deutlich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen gezeigt. Die Tour nur mit Begleitperson zu machen war richtig und erwies sich als notwendig. Gleichzeitig war es die Reise mit dem geringsten Komfort. Aber darin bin ich ja geschult worden. Mental gesehen war es die schwermütigste Reise, schlugen hier doch die Nachwirkungen den Bürgerkriegs allgegenwärtig voll durch.


    Würde ich dieselbe Reise aus heutiger Sicht auch tun? Eindeutig Ja!!


    Es hat sich als machbar erwiesen und es war eine einmalige Erfahrung auf einer völlig anderen Ebene. Alles anders eben.


    ***** Ende des Berichts

  • Ich bewundere dein Mut in so einer Gegend unter deinen gesundheitlichen Bedingungen zu reisen. Die Lösung, immer jemand als Begleitung zu haben ist ja im Prinzip gut, bei der einem oder anderen Mal warst du trotzdem alleine unterwegs, so dass ein gewisses Risiko bist du eingegangen...


    Wie ich schon erwähnte, da ich kein Bezug zum Land habe, reizt es mich nicht in der Gegend zu reisen, finde aber trotzdem interessant, es über dich zu erfahren, da du schon viel Erfahrung dort hast.


    Danke nochmals für dein Bericht! <3

  • Ein großes Dankeschön an Dich, lieber Felix, für diesen wirklich sehr schönen und aus dem Leben gegriffenen Bericht!

    Es war oft vergnüglich zu lesen, wie Du Eure kleinen und größeren Abenteuer und Alltagstücken zu beschreiben wusstest, ganz

    abgesehen davon, daß Du uns einen spannenden Einblick in eine mir vollkommen fremde Welt gegeben hast, den man so hautnah

    wohl selten erhält.


    Was mir in Deinen Geschichten immer wieder aufgefallen ist, ist dieser vollkommen andere Bezug der Menschen zu Zeit und Familie.

    Das ist augenscheinlich das wichtigste, egal, wie die Verhältnisse sind. Jedenfalls scheinen die Menschen mit Ihrer langsameren Lebenseinstellung und der Verbundenheit untereinander am Ende deutlich zufriedener als wir, die fast jede Minute des Tages durchgetaktet haben und dann über all den Stress klagen.

    Es wäre hier in Europa eigentlich undenkbar, daß jeder spontan immer Zeit hat, sei es nur für einen Besuch oder ein Schwätzchen oder sogar für ein paar Tage einfach mal so als Begleitung.

    Aber natürlich fragt sich meine westlich orientierte Wohlstandsdenke dann doch, wie das möglich ist, und natürlich auch - bitte nicht missverstehen - wovon die Leute eigentlich leben oder wie sie ihr Tagwerk bestreiten. Natürlich hast Du dies öfter bei eher fremden Zufallsbekanntschaften erwähnt, der Tuk-Tuk-Fahrer, der Friseur.... aber bei den meisten Familienmitgliedern habe ich hier keine Informationen gefunden. Ich vermute, staatliche Renten oder Unterstützung wird es wohl kaum geben und die Kinder - oft im Ausland lebend - kommen für die Eltern auf?


    Jedenfalls war es mir eine Freude, gerne bin ich Dir gefolgt und hoffe für Dich, daß es - vielleicht - doch kein endgültiges goodbye gewesen sein mag.

    Ich finde Deine Einstellung bewundernswert, auch den gewissen Mut zum Risiko, trotz aller gebotener Vorsicht.

    Und so offensiv Du Dich Deiner Krankheit und den Einschränkungen stellst, kann ich mir vorstellen, daß es möglicherweise doch noch einmal

    ein Wiedersehn mit dem Land Deines Herzens geben wird. Hans im Glück eben :thumbup:


    LG

    Gusti

    redfloyd.........................................................................................Gusti
    redfloyd.gifGusti.gif


    Heaven is where the police British, the cooks Thai, the mechanics German, the lovers Italian and it is all organised by the Swiss.
    Hell is where the cooks are British, the mechanics Thai, the lovers Swiss, the police German and it is all organised by the Italians.

  • Guten Morgen Gusti

    Mit großer Freude habe ich Deine lieben Zeilen gelesen.

    Aber natürlich fragt sich meine westlich orientierte Wohlstandsdenke dann doch, wie das möglich ist, und .... wovon die Leute eigentlich leben oder wie sie ihr Tagwerk bestreiten.

    Die richtige Antwort hast Du bereits geschrieben.

    Diese Frage kam bei mir ebenfalls auf, also habe ich meinen Freund gefragt.


    LG, felix

  • Hallo Felix,

    toller Bericht und ja Dein Mut herumzureisen, ist schon bewundernswert. Man sollte sich von nichts unterkriegen lassen. <3 Ich wünsche Dir noch viele solcher interessanten Reisen und das Du immer eine nette Begleitung findest.


    Viele Grüße
    Petra

  • Afrika im Allgemeinen ist nicht meins. Es ändert aber nichts daran, dass Dein Reisebericht unglaublich spannend, interessant und beeindruckend ist. Mit der Art und Weise, wie Du Deine Erlebnisse schilderst, fühlt man sich selbst unmittelbar "mit vor Ort".


    Vielen Dank dafür!

  • Habesha Medizin, falls sie zügig und sicher bis nach D durchkommen sollte, würdest du sie denn nehmen?

    Eher nicht. Ich bin bislang ohne irgendwelche Drogenexperimente ausgekommen. Warum soll ich jetzt etwas mit fragwürdigem Inhalt einnehmen. Zumal ich mich mit seiner Diagnosefindung ein wenig schwer tue. Nach meiner Meinung sind Patienten mit somatoformen Erkrankungen besser bei Heilern aufgehoben.

    Wenn natürlich ein ordentlicher Beipackzettel dabei ist, mit Anwendungsbereich, Angaben zu Nebenwirkungen usw. ... 8-)  :thumbsup:

  • Schade, dass es wahrscheinlich keine (nicht-kostspielige) Möglichkeit gibt, die Inhaltsstoffe analysieren zu lassen - falls es die Medizin denn tatsächlich bis nach D schafft.


    Obwohl, vielleicht wäre eine Uniklinik oder Fachklinik daran interessiert.

  • Hallo Felix,


    da ich selbst bis vor einiger Zeit verreist war, habe ich es zwischenzeitlich tatsächlich lediglich geschafft, einen Reisebericht zu lesen und das war Deiner! Was soll ich sagen, Äthiopien ist so gar nicht mein Ziel (aber man soll ja nie nie sagen), aber ich habe Deine Berichte regelrecht verschlungen, weil sie so einen ganz anderen Blick außerhalb der touristischen Brille zeigen. Ich danke Dir ganz herzlich fürs Zeigen, Teilen und vor allem für Deine immer so ehrliche, nicht geschönte und authentische Berichterstattung. Ich bewundere es, dass Du diese Reise (mit Begleitung) trotz Deiner Einschränkungen gemacht hast und freue mich, dass letztendlich auch alles gut gelaufen ist.


    Beim Lesen ging es mir tatsächlich ein wenig wie Redfloyd geschrieben hat.


    Viele Grüße

    Sabine